BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
entgegen, die uns gerufen hatte, und ich vergaß alles andere um uns herum.
Mit einem Wort ausgedrückt war sie wunderschön, und ich wünschte mir spontan nichts sehnlicher, als dass
Mutter
so ausgesehen habe.
Seltsam fand ich nur, wie offenherzig sie uns entgegenkam. In ein Gewand gehüllt, das so hauchdünn und seidig war, dass sich
alles
darunter abzeichnete. Die Rundungen dieser Frau waren nicht nur zu ahnen, sie waren zu
sehen
. Und allem Anschein nach legte sie es sogar darauf an...
Ihr kastanienbraunes Haar fiel lockig bis auf ihre Schulterblätter und Brüste, die nicht halb so drall und üppig waren wie die von Bernadette, aber auch bei weitem nicht so haltlos tief herabhingen, sondern straff und fest mit den harten Spitzen gegen den feinen Stoff stießen.
Ich hörte Vater neben mir schlucken. Offenbar war auch er gefangen von so viel Schönheit.
»Tretet näher«, sagte sie, und diesmal lenkten ihre Worte alle Aufmerksamkeit auf das Gesicht. Auf die dunkel durchbluteten Lippen und die schwelgerische, künstliche Blässe ihrer Haut.
Zum ersten Mal begegnete ich einer Frau, die sich gepudert hatte.
Bei ihr passte es. Bei ihr passte alles.
Als Vater zögerte, stieß ich ihn an, und wir gingen der madonnenhaften Erscheinung gemeinsam entgegen.
»Ihr werdet Ärger bekommen«, sagte Vater, nachdem er sich ein paarmal geräuspert hatte.
»Wie kommst du darauf?«
»Der Wirt unten im Haus hat uns gerade hinausgeschmissen.«
»Und du denkst, er hat hier das Sagen?«
Vater blickte ein wenig ratlos. Dann nickte er.
»Er ist ein plumper Hund, der nur mit den Fäusten und dem Schwanz denken kann«, sagte sie, nicht einmal in abfälligem Ton. »Einer, wie er verschafft sich den nötigen Respekt bei den betrunkenen, oft streitsüchtigen Matrosen – ich kann schließlich nicht überall sein und aufpassen!«
Nun schauten wir beide sie verblüfft an. Ihren Worten war zu entnehmen, dass
sie
hier bestimmte.
Eine Frau...
»Gehört – Euch dieses Haus?«, fragte Vater.
»Natürlich.«
Kopfschüttelnd beugte er sich zu mir herunter und flüsterte: »Wir gehen. Komm.«
Ich stand immer noch wie gebannt.
»Sei nicht töricht!«, sagte sie und trat so nahe zu uns, dass ich ihren Duft einfing. Sie roch nach blühenden Sommerblumen.
Ich war wie verzaubert.
»Willst du, dass dein Kind aus dummem Stolz heraus stirbt? Du suchst Arbeit, hast du dem Wirt erzählt, und behauptet, dir für nichts zu schade zu sein... Beweise es!«
Vater richtete sich wieder auf. Er mied es, sie anzusehen. »Wie?«, fragte er.
»Ich habe Gefallen an dir gefunden«, sagte sie unverblümt. »Schick die Kleine nach draußen, und ich erkläre dir, was ich von dir erwarte.«
Ich sah, wie Vater die Hände zu Fäusten ballte.
Eine Weile stand er nur da. Dann entspannten sich seine Hände, und seine Linke fuhr zärtlich durch mein glattes Haar, das mehr und mehr die Farbe von Kupfer annahm.
»Geh«, sagte er weich, aber hinter dieser Sanftheit vibrierte eine Spannung, wie ich sie nie bei ihm erlebt hatte. »Warte draußen. Ich komme gleich zu dir...«
Ich nickte. Dann sah ich zu der Frau. »Wie heißt du?«, fragte ich.
»Es wurde auch Zeit, dass mich jemand fragt«, lächelte sie. »Lucrezia. Meine Heimaterde liegt in Italien, in Rom, nicht hier im Frankenreich.«
Lucrezia.
Der Name war wie eine fremdartige Melodie, die ich mit nach draußen nahm.
Als ich durch die Tür trat, kam mir gerade ein torkelnder Matrose die Treppe entgegen.
Ich erschrak.
Aber dann rief Lucrezia in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete: »Jetzt nicht! Komm später wieder!«, Und der Angetrunkene machte so abrupt auf dem Absatz kehrt, dass er fast die Stufen hinunterstürzte.
Lucrezias Zähne blitzten, als sie mir ein letztes Lächeln schenkte.
Dann schloss ich die Tür.
Meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt.
Vater blieb lange bei ihr. Sie mussten viel zu bereden haben. Erstaunlicherweise schnappte ich nicht einmal ein noch so gedämpftes Gemurmel auf. Die Tür schloss absolut dicht.
Nur einmal wurde sie aufgerissen. Ein hinkender, älterer Mann trat heraus. Er schien nüchtern, obwohl sein Gesicht gerötet war. Er beachtete mich kaum, und ich erhaschte einen Blick in den Flur, der nun verlassen war. Weder von Vater noch von Lucrezia sah ich eine Spur. Sie mussten in eines der Zimmer gegangen sein.
Wieder verging eine Spanne Zeit, bis Vater endlich zu mir zurückkam.
Er wirkte fast fröhlich, und das war es, was ich am wenigsten
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