Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede
Vorwort
LEIDEN IST EINE OPTION
Eine weise Redensart besagt: Ein echter Gentleman spricht niemals über die Frauen, von denen er sich getrennt hat, oder darüber, wie viel Steuern er zahlt. Nein, eine solche Redensart existiert nicht. Pardon, ich habe sie gerade erfunden. Gäbe es sie, müsste es ein weiteres Kriterium für einen Gentleman sein, über das zu schweigen, was er für seine Gesundheit tut, und sich nicht darüber zu verbreiten, wie er sich fit hält. Zumindest sehe ich das so.
Wie Sie alle wissen, bin ich kein Gentleman und müsste mir deshalb keine Gedanken machen, und doch habe ich gewisse Hemmungen, dieses Buch zu schreiben. Womöglich klingt es ein bisschen nach einer Ausrede, aber dies ist ein Buch über meine Erfahrungen als Läufer und ganz gewiss kein Fitness-Ratgeber, in dem ich meine Leser auffordere: »Tun Sie etwas für Ihre Gesundheit und laufen Sie täglich!« Stattdessen habe ich meine Gedanken darüber gesammelt, was Laufen für mich persönlich bedeutet. Es ist einfach ein Buch, in dem ich über verschiedenes nachdenke.
Somerset Maugham hat einmal geschrieben, in jeder Rasur liege eine Philosophie, und ich pflichte diesem Gedanken entschieden bei. Ganz gleich, wie banal und alltäglich eine Tätigkeit sein mag, wenn man sie nur lange genug ausübt, bekommt sie etwas Meditatives oder Kontemplatives. Als Schriftsteller und Läufer glaube ich nicht, dass es mich zu weit von meinem üblichen Pfad abführt, ein Buch über das Laufen zu veröffentlichen. Vielleicht hat es etwas mit Pedanterie zu tun, aber ich kann viele Dinge nur begreifen, indem ich meine Gedanken zu Papier bringe. Ich muss verfassen, um zu erfassen. Was Laufen für mich bedeutet, musste ich mir sozusagen durch meiner Hände Schreibarbeit verdeutlichen.
Als ich einmal in einem Hotelzimmer in Paris herumsaß und in der International Herald Tribune blätterte, stieß ich auf einen Sonderbericht über Marathonläufe. Unter anderem wurden mehrere berühmte Läufer nach dem Mantra befragt, das sie während ihres Laufs rezitierten, um sich anzuspornen. Eine interessante Frage. Die Gedanken der Läufer während der 42,195 Kilometer beeindruckten mich. Sie veranschaulichten, wie zermürbend ein Marathonlauf ist. Wer nicht einen bestimmten Gedanken gebetsmühlenartig wiederholt, kann niemals durchhalten.
Einer der Läufer berichtete von einem Spruch, den ihm sein älterer Bruder (ebenfalls ein Läufer) beigebracht hatte, und den er seither ständig im Kopf behält: Schmerz ist unvermeidlich, Leiden ist eine Option. Man stelle sich vor, man rennt und denkt plötzlich: »Boah, ist das eine Qual, ich kann nicht mehr.« Die Qual ist eine unvermeidliche Tatsache, sie zu ertragen oder nicht, bleibt jedoch dem Läufer überlassen. Damit hat man im Grunde einen Hauptaspekt des Marathonlaufens umrissen.
Vor zehn Jahren hatte ich zum ersten Mal die Idee, ein Buch über das Laufen zu schreiben. Ich probierte hin und her, und es verging viel Zeit, ohne dass ich tatsächlich etwas zu Papier brachte. Das Thema Laufen an sich ist etwas schwammig, und es fiel mir schwer zu bestimmen, worüber ich eigentlich genau schreiben wollte.
Irgendwann beschloss ich jedoch, meinem Stil treu zu bleiben und einfach offen und ehrlich meine Gefühle und Gedanken niederzulegen. Damit war der Anfang gemacht, und ich schrieb von Sommer 2005 bis Herbst 2006 an diesem Buch. Abgesehen von einigen wenigen Stellen, an denen ich frühere Arbeiten von mir zitiere, dokumentiert der vorliegende Text meine Empfindungen und Gedanken in der Phase des Schreibens als eine Art ›laufendes‹ Tagebuch. Dabei fiel mir eine Sache besonders auf: Ehrlich über das Laufen und ehrlich über mich selbst zu schreiben war fast das Gleiche.
Auch wenn ich nichts von alledem als Philosophie bezeichnen würde, schildert dieses Buch doch einige Lektionen, die das Leben mich gelehrt hat. Sie machen vielleicht nicht viel her, aber es sind persönliche Erfahrungen, die ich durch körperliche Bewegung erlangt habe und die mir zu der Erkenntnis verholfen haben, dass Leiden nur eine Option ist. Meine Erkenntnisse lassen sich vielleicht nicht verallgemeinern, aber was ich hier zeigen möchte, bin ich – der Mensch, der ich bin.
August 2007
1
FREITAG, 5. AUGUST 2005
KAUAI, HAWAII
WER KÖNNTE ÜBER MICK JAGGER LACHEN?
Ich bin auf Kauai, North Shore. Der Himmel ist unglaublich klar und sonnig, keine Wolke ist zu sehen. Nicht einmal eine Andeutung dessen, was man Wolke nennt. Ich bin Ende
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