Baudolino
lonc en mai, wenn lang die Tage sind im Mai...« Boron fing leise an zu lachen.
»Du siehst, Kyrios Niketas«, sagte Baudolino, »wenn ich nicht den Versuchungen dieser Welt erlag, verbrächte ich meine Nächte damit, mir andere Welten vorzustellen. Ein bißchen mit Hilfe des Weins, ein bißchen mit Hilfe des grünen Honigs. Es gibt nichts Besseres, als sich andere Welten vorzustellen«, erklärte er, »um zu vergessen, wie leidvoll die ist, in der wir leben. So jedenfalls dachte ich damals. Ich hatte noch nicht begriffen, daß man, wenn man sich andere Welten vorstellt, am Ende auch diese verändert.«
»Versuchen wir fürs erste, heiter in dieser zu leben, die Gott uns zugewiesen hat«, sagte Niketas. »Schau, was unsere
unvergleichlichen Genueser für Köstlichkeiten der hiesigen Küche bereitet haben. Probier nur einmal von dieser Suppe aus verschiedenen Meeres- und Flußfischen. Vielleicht habt ihr ja auch gute Fische in euren Ländern, obwohl ich mir vorstellen kann, daß sie in eurer beißenden Kälte nicht so gut gedeihen wie hier in der warmen Propontis. Wir würzen die Suppe mit in Olivenöl gerösteten Zwiebeln, Fenchel und anderen Kräutern sowie zwei Bechern trockenen Weines. Du gibst sie auf zwei Scheiben Brot, und du kannst Avgolemonos dazu nehmen, das ist diese Sauce aus Eidotter und Limonensaft mit einem Spritzer Brühe. Ich denke, so müssen Adam und Eva im Irdischen
Paradies gespeist haben. Freilich vor dem Sündenfall. Danach haben sie sich wohl eher mit Kutteln begnügt, wie in Paris.«
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9. KAPITEL
BAUDOLINO TADELT DEN
KAISER UND VERFÜHRT DIE
KAISERIN
Unterdessen hatte Baudolino, mal mit nicht sehr ernsthaften Studien, mal mit Phantastereien über den Garten Eden, vier Winter in Paris verbracht. Es drängte ihn, Friedrich
wiederzusehen und mehr noch Beatrix, die in seiner erhitzten Phantasie mittlerweile alle erdnahen Züge verloren hatte und zu einer Bewohnerin jenes Eden geworden war, fast wie Abduls ferne Prinzessin.
Eines Tages hatte Rainald den Poeten um eine Ode auf den Kaiser gebeten. Der entsetzte Poet, der nicht mehr aus noch ein wußte und, um Zeit zu gewinnen, seinem Herrn gesagt hatte, er müsse erst noch auf die richtige Inspiration warten, sandte einen Hilferuf an Baudolino. Dieser verfaßte ein exzellentes Gedicht, Salve mundi domine, in dem er Friedrich über alle anderen Herrscher stellte und sein Joch als süß bezeichnete. Aber er wollte sich nicht darauf verlassen, es durch einen Boten zu schicken, sondern beschloß, selbst nach Italien zu reisen, wo inzwischen so viele Dinge geschehen waren, daß er Mühe hatte, sie für Niketas zusammenzufassen.
»Rainald hatte sein Leben damit verbracht, ein Bild des Kaisers als Herrn der Welt zu schaffen, als Friedensfürst, Quell allen Rechts und niemandes Untertan, rex et sacerdos, König und Priester zugleich, wie Melchisedek, und so konnte es nicht
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ausbleiben, daß er mit dem Papst in Konflikt geriet. Nun war jener Papst Hadrian, der Friedrich in Rom gekrönt hatte, zur Zeit der Belagerung von Crema gestorben, und die Mehrheit der Kardinäle hatte Kardinal Bandinelli zum neuen Papst Alexander III. gewählt. Für Rainald war das eine Ohrfeige, denn zwischen ihm und Bandinelli stand es wie zwischen Hund und Katze, und in der Frage des päpstlichen Primats wich der neue Pontifex keine Handbreit zurück. Ich weiß nicht, wie Rainald es
angestellt hat, aber irgendwie hatte er dann erreicht, daß einige Kardinäle und Anhänger des Senats einen Gegenpapst wählten, Viktor IV., den er und Friedrich nach Belieben lenken und benutzen konnten. Natürlich hat Alexander III. sowohl Friedrich wie Viktor unverzüglich exkommuniziert, und es genügte nicht zu erklären, Alexander sei nicht der richtige Papst und seine Exkommunikation sei ungültig, denn einerseits neigten die Könige von Frankreich und England dazu, ihn anzuerkennen, und andererseits war es für die italienischen Städte ein Geschenk des Himmels, einen Papst zu haben, der sagte, daß der Kaiser ein Kirchenspalter sei und man ihm folglich keinen Gehorsam schulde. Zudem kamen Berichte, daß Alexander mit eurem
Basileus Manuel verhandelte, auf der Suche nach einem
größeren Reich als demjenigen Friedrichs, um sich darauf zu stützen. Wenn Rainald wollte, daß Friedrich als einziger Erbe des Römischen Reiches anerkannt wurde, mußte er den
überzeugenden Beweis einer Abstammung finden. Das war der Grund, warum er den Poeten an die Arbeit gesetzt
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