Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Was ist kommunistischer Anarchismus?, Die
gesellschaftliche Notwendigkeiten weiterzudenken und einzusehen, daß bei freiheitlichem Willen dies in der Tat das System ist, um die Ackerbestellung und den Warenaustausch, die Angelegenheiten des Verkehrs und die der Geistespflege im engen Kreise wie in weitem Umfange, von der Verständigung einiger Nachbarn bis zur Weltföderation in Gang zu halten und jeden zum Sachwalter aller, alle zu Sachwaltern jedes einzelnen zu machen bei voller Gleichberechtigung, bei voller Freiwilligkeit, ohne Vorrang und Macht.
Hat man das Wesen der Räte so als den Inbegriff des lebendigen Zusammenklangs von Persönlichkeit und Gesellschaft begriffen, dann verliert die Frage, ob die Forderung: Alle Macht den Räten! von Anarchisten erhoben werden dürfe, jeden Inhalt. Vielleicht ist es nicht günstig, das Wort Macht in irgendeinem Zusammenhange anzuwenden. Doch ist diese Forderung ja gerade in der Bedeutung entstanden, daß jede Staatsmacht gebrochen werden soll, daß alle bestimmende und ausführende Gewalt von der Revolution, alsovon der revolutionären Klasse, von der Arbeiter- und Bauernschaft, und von deren revolutionären Organen, den Räten, die wiederum die Gesamtheit der Werktätigen verkörpern, übernommen werden soll. Mit dem Lebendigwerden des Sozialismus schwinden die Klassen, und der Zwang der Revolution gegen die ihr widerstrebenden Gegenrevolutionäre der besiegten Klasse vermindert sich stufenweise fortschreitend bis zur völligen Rechtsgleichheit aller und ihrem Zusammenwirken in den Räten. Die Macht aller, ohne Unterschied an der Aufrichtung der staatlosen kommunistischen Gesellschaft Schaffenden, und dies wäre eben die Rätemacht, ist natürlich keine Macht mehr, da niemand da ist, über den sie geübt würde. Die Losung ist immerhin besser als die der proletarischen Diktatur, obwohl beide dahin gedeutet werden können, daß die proletarische Klasse im revolutionären Kampf keine Einwirkung kapitalistischer Kräfte auf das öffentliche Geschehen dulden wird. Da das Bekenntnis zur Diktatur des Proletariates aber das unterscheidende Merkmal aller Staatssozialisten geworden ist, die auch praktisch die Herrschgewalt eines Parteiklüngels daraus gemacht haben, und da die Losung „Alle Macht den Räten!“ nur noch von autoritätsfeindlichen Sozialisten ausgegeben wird, ist die Sorge, hier solle die gestürzte Macht durch eine neue Macht ersetzt werden, überflüssig. Doch wäre es, um jede verwirrende Deutung auszuschließen, geraten, die Anarchisten einigten sich auf die Losung „Alles Recht den Räten!“ – oder auch Alles den Räten, alles durch die Räte, oder, was wiederum dasselbe ist: „Alles für alle durch alle!“
Der Weg zur Anarchie führt nur über anarchistisches Verhalten. Denn Wirklichkeit wächst allein aus Verwirklichung. Das gilt für die Denk- und Tatarbeit zur Bereitmachung der Wirtschaft, das gilt in erhöhtem Maße für die Bereitmachung der Geister. Sollen aus den Menschen Räte werden, in gegenseitigem Vertrauen gleichberechtigt Ratholende und Ratgebende, Tatbereite und zur Tat Vereinigte, dann muß die Revolution woanders reifen als in dem bloßen Glauben, daß sich der Kapitalismus auf die Dauer nicht gegen den Hunger und das Elend der Menschen werde behaupten können. Er wird sich behaupten, solange er keinen Widerstand findet, der sich gegen seine sittlichen Grundlagen richtet, gegen die Autorität und ihre Verkörperungen, Staat, Kirche, Gesetz und Familie. Ein solcher Widerstand aber kommt nicht aus Verabredungen irgendwelcher Art, er kommt nicht aus wissenschaftlichen Lehren und nicht aus noch so kluger Taktik, er kann nirgends herkommen als aus dem beleidigten Gewissen des sozial bewegten Menschen.
Zu den Aufgaben der Anarchisten gehört es daher, die Gefühle der Gerechtigkeit und der Freiheit, die jedem Menschen angeboren sind, aber dank der autoritären Erziehung durch Kirche, Schule und Militär und vor allem durch die Vaterschaftsfamilie großenteils verschüttet unter dem Bewußtsein liegen, wachzurütteln. An den Anarchisten ist es, begreiflich zu machen: Nicht die Not ist das schlimmste, sondern daß sie ertragen wird! Denn das Hinnehmen von Armut, während es Reichtum gibt, ist geistiges Versagen, ist Unempfindlichkeit der Seele gegen die Beleidigung, Werte schaffen zu müssen, an deren Genuß der Schaffende keinen Anteil hat, und von denen, für die sie geschaffen werden, unter Hungerdruck das Recht erbetteln zu müssen, zu solch ertraglosem Schaffen überhaupt
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