Begierde
frauliche Rundungen angenommen, ihr Gesicht hingegen ein wenig des weichen Babyface verloren, an das er sich erinnerte. Sie war schlank, aber nicht mager. Ihre weißliche Haut hatte ihr als Kind diverse Spitznamen eingebracht, von denen Käsekuchen und Blasskäfer die bei weitem charmantesten gewesen waren. Es war ein Erbe ihres Vaters, dessen Haut nicht nur blass, sondern auch mit Sommersprossen übersät war, übertroffen nur noch von den feuerroten Haaren. Vickys kastanienbraunes Haar, das ihr Gesicht in üppigen großen Locken umrahmte, glich dem ihrer Mutter. Jetzt, als erwachsene Frau, gab ihr die vornehme Blässe das gewisse Extra, einen Hauch von Eleganz und ließ sie ein wenig geheimnisvoll wirken.
Ab und an nickte Vicky, als verstünde sie den Inhalt des notariellen Kauderwelschs, in dem das Testament abgefasst war.
Sie hat also ihre schauspielerischen Talente, mit denen sie schon früher fast jeden um den Finger wickelte, nicht verlernt. Ganz im Gegenteil
, dachte Marc bitter.
Seine Stiefschwester trug ein schwarzes Kostüm mit kragenloser Jacke, darunter eine weiße Bluse mit tiefem V-Ausschnitt, der Stoff leicht transparent. Der Spitzenstoff ihres BHs zeichnete sich darunter ab, dazu trug sie hauchdünne schwarze Strümpfe und Highheels. Diese Kleidung ließ sie ein wenig älter und reifer wirken, als sie in Wirklichkeit war.
Die fein gemusterte Abschlussborte ihrer Strümpfe schaute ein kleines Stück unter ihrem viel zu kurzen Rock hervor und Marc beobachtete, dass der Notar nervös immer wieder auf Vickys Schenkel starrte. Irrte er sich, oder rutschte der Rocksaum noch ein kleines Stück höher, nur weil Vicky etwas ihre Position verändert hatte? Wenn ja, dann war es die raffinierteste Masche, scheinbar unabsichtlich mehr Bein zu zeigen, die er seit langem beobachtet hatte.
Sie öffnete die flache schwarze Handtasche, die auf ihren Beinen lag, entnahm ihr ein Notizbuch und schrieb ein paar Zeilen auf einen Zettel. Ihre Hand verdeckte den Text. Marc hätte zu gerne gewusst, was sie Wichtiges zu notieren hatte.
In diesem Augenblick beendete der Notar seinen Vortrag, fragte knapp, ob sie beide das Erbe annehmen würden, und als sie nickten, reichte er ihnen ein Formular zur Unterschrift. Damit war die Sitzung beendet.
Marc schüttelte dem Notar die Hand, bedankte sich und wandte sich zur Tür. Im Augenwinkel nahm er wahr, wie Vicky den Zettel, den sie aus ihrem Notizbuch herausgerissen hatte, dem Notar reichte. Dann stolzierte sie mit einem selbstbewussten, fast als arrogant zu bezeichnenden Gesichtsausdruck an Marc vorbei, der auf sie wartete und ihr die Tür aufhielt.
»Gehen wir noch zusammen etwas trinken? Wir haben uns ja solange nicht mehr gesehen.« Vicky griff nach Marcs Arm und hängte sich bei ihm ein. Es hatte inzwischen aufgehört zu regnen. In den Pfützen spiegelten sich Passanten, Straßenlaternen, Schaufensterscheiben und Autos. Der Verkehr war noch genauso dicht wie eine halbe Stunde zuvor.
»Du siehst übrigens gut aus, mit der gebräunten Haut und deinen schwarzen Haaren gehst du sicher fast schon als Italiener unter ihresgleichen durch, oder?« Sie erwartete wohl keine Antwort, sondern plapperte munter weiter, während sie ihren Stiefbruder zielstrebig in ein kleines, nahe gelegenes Restaurant dirigierte. Ohne ihn nach seinen Wünschen zu fragen, bestellte sie bei dem herbeieilenden Ober eine Karaffe Rotwein, zwei Gläser und Mineralwasser.
Marc zog die Stirn in Falten. »Übernimmst du immer die Regie?«
Vicky lachte laut auf. »Na klar, wer denn sonst? Aber erzähl, was machst du so, wir haben uns schließlich eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.«
Marc fasste sich kurz. Er hatte keine Lust, Vicky einen allzu genauen Einblick in sein Leben zu gewähren. Er erzählte in knappen Worten, dass er mit einem Kompagnon eine Fabrik für Designermöbel leite und viel unterwegs sei, um die neuesten Modelle exquisiten Läden vorzustellen. Es bedeute viel Arbeit und wenig Freizeit, ergänzte er zurückhaltend. Er vermied bewusst Namen und Sitz der Firma zu nennen, damit Vicky keine Gelegenheit erhielt, ihn zu kontaktieren. Sie kannte nur die Adresse der deutschen Filiale. Selbst das war schon fast zuviel.
Doch viel mehr interessiere ihn, was sie mache, lenkte er von sich ab. Nach kurzem Zögern ging sie darauf ein. Denn ihre bis dahin makellose Karriere erlebte gerade einen Knick. Daran war sie zwar nicht selbst schuld, aber es nagte wohl trotzdem an ihr. Die Fluggesellschaft, für
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