Der Mann schlaeft
Damals.
Im Winter. Vor vier Monaten.
Draußen war ein Winter gewesen, der den Bildern, die wir früher vom Winter gehabt haben, nicht einmal entfernt glich. Saubere, tiefgekühlte Dezember mit Reif und kleinen Häusern, in denen gepflegte Familien vor Bratäpfeln saßen, gab es schon lange nicht mehr.
Kein Schnee verdeckte die Unattraktivität der Welt, nur dunkelgrau war sie, klamm und verwaschen.
Während drei langer Monate würde das Licht sich kaum verändern; dem Winter würde ein verregneter Frühling folgen, der in einen trüben Sommer überging.
Nebel lag auf der Stadt, die noch nicht einmal eine Stadt war, und der Mensch hielt Winterschlaf. Die es sich leisten konnten, verließen ihre Häuser nicht, sie schlurften in Pyjamas herum, Speisereste im Haar, leere Pizzaschachteln unter dem Bett, und Spinnen mit neurotischen Gesichtern spannen ihre Netze zwischen den Läufen der Personen.
Die wenigen, die man auf öffentlichem Gelände sah, waren kaum dazu geeignet, einen mit kleinen, fröhlichen Sprüngen das Leben feiern zu lassen.
Ich war auf der Straße gewesen, hatte in hoffnungslose Gesichter gesehen und mich einen Moment lang gefühlt, als sei ich wieder eine von ihnen, die doch so warteten, dass etwas eintreten werde, durch das sie sich endlich wieder lebendig fühlten.
Ich hatte mich an jenem Morgen so stark an das Gefühlerinnert, bei aberwitzigem Wetter alleine zu sein, dass mir übel geworden war, für Sekunden, in denen ich aus der Wirklichkeit gefallen war. Ich hatte eine Zeitung kaufen wollen, und als ich, die Augen vor dem Elend halbverschlossen, das einzige im Winter geöffnete Café passierte, vermeinte ich darin Gespenster aus der Vergangenheit wahrzunehmen.
Eine füllige Frau mit Armprothese saß neben einem Mann, an den ich mich nur erinnerte, weil er so übertrieben unscheinbar wirkte wie eine Karikatur.
Als ich auf dem Rückweg vom Kiosk erneut an dem Café vorbeikam, waren beide verschwunden.
Da man sich, wie ich an diesem kleinen Schattenspiel meiner Erinnerung merkte, der Realität nie allzu sicher sein durfte, betrat ich wenig später unser Haus mit Sorge.
Man konnte nicht oft genug überprüfen, ob all das, was einen froh machte, noch an seinem Platz war.
Mir war schwindelig geworden vor Erleichterung, denn der Mann war da.
Er lag und schlief und sah wunderbar dabei aus, doch, anders als bei den meisten seiner Spezies, die nur im Schlaf entspannt und reizend wirken, kannte sein Ausdruck keine Veränderungen; auch nach dem Erwachen würde er wie benommen bleiben und seinen schweren Körper bewegen, als wäre er in einem anderen Element zu Hause als in der Luft. Vielleicht nähme sich der Mann unter Wasser gewandt aus; doch ich hatte ihn noch nie tauchen sehen, denn er war zu träge für die meisten Aktivitäten, mit denen Menschen, die keiner körperlichen Arbeit nachgehen, ihr Leben verstreichen lassen.
Da alles an seinem Platz war und es nicht aussah, als wäredas, was ich für mein Leben hielt, nur Phantasie, konnte ich weiter meinem Tagesplan folgen.
Fast alle Menschen lieben geregelte Abläufe, da muss man sich nichts vormachen. Routine macht, dass wir nicht ins All abgetrieben werden, ohne Verbindung zur Raumstation. Nach der Zeitung, dem Gebäck folgte der Kaffee. Ich beobachtete, wie im Nachbarhaus, in das ich durch die Palmen hindurch sehen konnte, Menschen an Küchentische schlurften, verschwommen von der Nacht, das Licht kaum vorhanden, sodass es sich durchaus auch um großgewachsene Insekten handeln konnte, die von der Stadt Besitz ergriffen hatten.
Jeden Morgen stand ich vor der Tür und freute mich, dass ich die Nacht überlebt hatte, dass alle Häuser sich noch am Ort befanden und der Mann im Bett lag. Vielleicht war ich der einzige Mensch, der daran ein Vergnügen hatte, denn der Mann entsprach kaum dem, was man gemeinhin als Kleinod bezeichnete.
Er war nicht auffallend schön oder reich, kein guter Redner oder charmant auf eine Art, die ihm Bewunderung einbrachte. Außer dass er mir das Gefühl gab, ich sei liebenswert, tat er sich in keinem Bereich mit Glanzleistungen hervor.
Früher, alleine, hatte ich befürchtet, so zu werden wie die meisten um mich herum: Immer fester in den Gewohnheiten, schneidend die Stimme, mit der ich reden würde, wenn nur einer fragen wollte, und ich wüsste es doch besser.
Vielen in den mittleren Jahren war jede Niedlichkeit abhandengekommen, und eine meiner großen Sorgen war es gewesen, gleichfalls zu einer unerfreulichen
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