Bella und der geheimnisvolle Wüstenprinz
Kulturerbe berühmt ist“, gab Atif bereitwillig Auskunft.
„Gibt es dort Öl?“ Bella musste sich regelrecht zwingen, einen leichten Konversationston anzuschlagen, um sich nicht zu verraten. Sie konnte Atif schließlich nicht freiheraus nach dem fragen, was sie wirklich interessierte.
Zum Beispiel: Wie weit ist es von hier bis dorthin? Und: Gibt es dort eine High-Speed-Internetverbindung?
„Sogar riesige Ölvorkommen“, klärte Atif sie auf. „Der regierende Scheich gilt als kluger, wenn nicht gerissener Geschäftsmann. Er hat die einst verschlafene, altertümliche Wüstensiedlung in ein internationales Handelszentrum verwandelt. Die Bauwerke entlang der Küste sind ebenso modern und spektakulär wie in Manhattan oder Canary Wharf. Nur ein paar Straßen weiter gelangt man in die Altstadt, die gespickt ist mit wundervollen Beispielen persischer Architektur. Der Al-Rafid-Palast ist das beeindruckendste unter den antiken Bauwerken. Er ist allerdings nur selten für den Publikumsverkehr geöffnet, da der Scheich und seine Familie ihn meistens selbst als Wohnsitz nutzen.“
Bella seufzte theatralisch. „Der Glückliche! Er darf wenigstens in der Stadt leben! Wahrscheinlich hasst er die Wüste genauso wie ich.“
„Im Gegenteil. Scheich Zafid liebt die Wüste sehr. Gleichzeitig ist er ein hochgebildeter, ernsthafter und entschlossener Mann, dem es gelungen ist, in diesem traditionellen Scheichtum, speziell im wirtschaftlichen Bereich, einen westlichen Führungsstil zu etablieren. Doch seine Wurzeln hat er nicht vergessen. Eine Woche im Jahr erlaubt er sich eine Auszeit in der Wüste. Er ist ein mächtiger Herrscher. Manche bezeichnen ihn als hart und skrupellos. Aber er ist auch ein Mann, der sich seiner großen Verantwortung und seiner Würde sehr bewusst ist.“
Würde!
Das war das letzte Wort gewesen, das sie von ihrem Vater zu hören bekam, bevor er sie in die Verbannung geschickt hatte! Unbehaglich trat Bella von einem Fuß auf den anderen.
„Dieser Scheich … wahrscheinlich ist er mit acht Frauen verheiratet und hat hundert Kinder?“, fragte sie, um das vage Schuldgefühl zu verdrängen, das sich in ihr meldete.
„Seine Hoheithat noch keine Gemahlin auserwählt“, informierte Atif sie steif. „Sein Familienhintergrund ist ziemlich kompliziert.“
Bella lachte hohl. „Ich wette, nicht halb so chaotisch wie meiner!“
Der alte Mann neigte leicht den Kopf. „Seine Mutter war eine Prinzessin, die von allen sehr verehrt wurde. Unglücklicherweise starb sie, als er noch im Säuglingsalter war.“
Plötzlich hatte Bella das Gefühl, unversehens einen Fausthieb in den Magen zu bekommen. „Seine Mutter ist tot?“, echote sie.
Was für eine seltsame Parallele. Genau wie sie selbst hatte der Scheich offenbar seine Mutter verloren, als er noch sehr klein gewesen war. Bella wollte mehr von diesem mächtigen, skrupellosen Scheich hören. Längst hatte sie vergessen, dass es ihr ursprünglich nur um die Entfernung von hier zur nächsten Stadt gegangen war.
„Hat sein Vater wieder geheiratet?“, fragte sie neugierig.
„Ja, aber tragischerweise sind er und seine zweite Frau bei einem schrecklichen Unfall ums Leben gekommen, als Seine Hoheit im Teenageralter war.“
Also hatte der Arme sogar zwei Mütter und einen Vater verloren!
Stumm beobachtete Bella, wie die aufgehende Sonne den Dünenkamm erklomm und alles in Brand zu setzen schien. Nur Minuten später verwandelten sich die Farben ringsherum von rötlichen Orangetönen zu einem strahlenden Gold.
Sie konnte es sich nicht erklären, aber irgendwie verspürte sie eine starke Zugehörigkeit zu diesem mysteriösen Scheich, der dort irgendwo hinter diesen endlosen Sandbergen lebte.
Ob er manchmal an seine Mutter dachte, die er nie wirklich hatte kennenlernen dürfen? Ob er auch zufällig Geheimnisse über sie herausgefunden hatte, die besser für alle Ewigkeit im Dunkel geblieben wären?
Waren seine Erinnerungen möglicherweise ebenso verstörend und belastend wie ihre?
Bella zog die Schultern hoch, vergrub die Hände in den Taschen ihrer hellen Leinenhose und sagte sich, wie nutzlos es war, Vergangenes wieder und immer wieder hervorzukramen. Sie konnte die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, so sehr sie es sich auch wünschte.
In den verordneten Stunden der Einkehr und Meditation gab es immer noch ein Thema, das zu betrachten sie sich rundheraus weigerte: ihre Mutter!
Später, sagte sie sich. Später, wenn sie es ertragen konnte,
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