Berlin 1933-1945: Stadt und Gesellschaft im Nationalsozialismus (German Edition)
auf, die er im Januar 1942 auf der Wannsee-Konferenz vertrat.
Resümee
Auch in Berlin setzte die Erosion der demokratischen Verfasstheit lange vor 1933 ein. Infolge der späten Vereinigung waren Verwaltung und Verfassung einerseits noch nicht eingespielt, während andererseits das Vertrauen in die lokalen politischen Akteure durch Skandale schwer erschüttert wurde und die Stadt unter den hohen Schulden litt, die sie hatte aufnehmen müssen, um die Infrastruktur auszubauen. Die tastende Unsicherheit bei der Umgestaltung der Berliner Hauptverwaltung von 1933 an, die sich in den verschiedenen, schnell aufeinanderfolgenden Gesetzesinitiativen zeigte, war ganz offenbar auch dem Umstand geschuldet, dass der amtierende Oberbürgermeister nicht einfach abgesetzt werden konnte. So wurden bürokratische Leitungsinstanzen um die ins Auge gefassten oder amtierenden Amtsinhaber herum gebaut, und aus dem vormals außerplanmäßigen Staatskommissar zur besonderen Verwendung wurde ein regulärer Beamter. Mit der Einsetzung Lipperts und dem Abbau der Kontrollmechanismen begannen die Unterhöhlung der alten staatlichen Ordnung und die Etablierung eines neuen Verwaltungsstabes und damit in Ansätzen auch neuer Formen von Staatlichkeit. Bemerkenswert ist, dass die Maßnahmen 1944 zurückgenommen wurden.
Zu diskutieren ist, ob um Lippert herum ein »charismatischer Verwaltungsstab« entstand oder ob der Verwaltungsentwurf nicht eher einer militärischen Kommandostruktur entsprach. 122 Göring, der die Entwicklung in Preußen maßgeblich bestimmte, orientierte sich jedenfalls nicht nur an militärischen Vorgaben – worauf schon die ursprüngliche Bezeichnung des Kommissars »z.b.V.« verweist –, sondern nutzte in der Regel auch militärisch geschultes Leitungspersonal. Zweifellos wurde durch die Etablierung des Stadtpräsidenten ein direkter Instanzenzug von der Zentrale in die Peripherie geschaffen und Berlin – wie später auch Hamburg – quasi zu einer Provinz des Reiches. Die Überlagerungen von städtischen und staatlichen Befugnissen beseitigte die kurzlebige Konstruktion des Stadtpräsidenten allerdings nicht. Dies geschah letztlich erst durch die (West-)Berliner Verfassung von 1951, die der Stadt den Charakter und von 1990 an auch den Status eines Bundeslandes gab.
Parallel zur Ausdehnung der Macht des Staatskommissars gewann auch der Gauleiter an Einfluss auf die Verwaltung der Stadt. Die Richtlinienkompetenz, die Goebbels Ende 1936 zugesprochen wurde, sollte ihn wohl auch ein Stück weit dafür entschädigen, dass er im Gegensatz zu den anderen Gauleitern nicht zum Oberpräsidenten ernannt worden war. Das Gesetz trug damit einerseits
der Geltungssucht Goebbels’ Rechnung, andererseits aber auch der symbolischen Bedeutung, die die Reichshauptstadt zweifelsohne für die Nationalsozialisten hatte. Darüber hinaus spielte, was von der Forschung häufig übersehen wird, Daluege als Leiter des nach ihm benannten Kommissariats im preußischen Innenministerium und nach dessen Auflösung im Juli 1933 auch als graue Eminenz eine gewichtige Rolle in der Stadt Berlin.
Nachdem es schon im Sommer 1932 in der Kommunalverwaltung zu ersten politischen Säuberungen gekommen war, versuchte sich Lippert als Kommissar mit eisernem Besen zu profilieren. So wurden von 1933 an deutlich mehr städtische Mitarbeiter entlassen als in anderen deutschen Städten. Die Entlassungswelle führte aber keineswegs zu Einsparungen, da gleichzeitig Tausende Parteimitglieder Stellen in der Kommunalverwaltung zugewiesen bekamen. Dieses Wechselspiel von politisch-rassistischem Revirement, Aufblähung des Apparats und Integration einer Vielzahl unqualifizierter politischer Günstlinge hatte keine effizientere Arbeit, sondern höchstens einen rüderen Umgangston zur Folge, aber es trug dazu bei, den revolutionären Druck der Parteimitglieder zu kanalisieren, und letztlich gelang es den Nationalsozialisten auf diese Weise, die Verwaltung der Hauptstadt nachgerade physisch zu vereinnahmen.
DR. CHRISTOPH KREUTZMÜLLER
(geb. 1968), Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt im Nationalsozialismus an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Resümee
Nach Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933 zeichnete sich die Entwicklung der NSDAP im Deutschen Reich durch einen unaufhörlichen Zustrom neuer Mitglieder und einen ständigen Wandel ihrer bürokratischen Apparate aus, mittels derer sie die
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