Berlin 1933-1945: Stadt und Gesellschaft im Nationalsozialismus (German Edition)
Resümee
1925 war die NSDAP in Berlin noch eine kleine völkische Gruppierung innerhalb des rechtsradikalen Lagers, auf dem die Nationalsozialisten aufbauen konnten. Vor allem in den bürgerlichen Stadtteilen im Südwesten Berlins besaßen nicht nur die Deutschnationalen ihre Hochburg, sondern auch die Rechtsradikalen insgesamt. Von hier aus begann der Siegeszug der NSDAP in Berlin. Zunächst setzten sich die Nationalsozialisten mit ihrer Doppeltaktik – militante Gewalt der SA und »Legalitätskurs« der NSDAP – gegen ihre Konkurrenten durch und zogen bis 1928 vor allem Anhänger aus den übrigen völkischen
Gruppen an. Obwohl ihre Wahlergebnisse zunächst recht bescheiden waren, konnte die Partei sich festsetzen und bei manchen sozialen Gruppen wie den Berliner Studenten bereits erste Erfolge erringen. Die Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung im November 1929 stellten unter Beweis, dass sie an Stärke gewann, noch bevor die Wirtschaftskrise mit voller Wucht einsetzte.
Auch in den Bezirken selbst war der Erfolg der Nationalsozialisten keineswegs flächendeckend, wie das Beispiel der Sektion Stettiner Bahnhof zeigt. Und in den Innenstadtbezirken gab es bürgerliche Wohnquartiere, die als erste Stützpunkte dienten und von denen aus die NSDAP wie die SA versuchten, in die proletarischen Nachbarschaften einzudringen.
Die NSDAP verstand wie kaum eine andere Partei, dass moderne Politik durch Massenmedien vermittelt wird und daher auf mediale Strukturen und Erwartungen ausgerichtet sein muss. Durch bewusst herbeigeführte Gewaltaktionen sowie durch sorgsam vorbereitete Massenveranstaltungen im Sportpalast gewann sie das Image einer erfolgreich wachsenden, entschlossenen Bewegung, deren Vertreter nicht nur redeten, sondern auch handelten. Vielen der bürgerlichen deutschnationalen Wähler erschien die NSDAP als tatkräftige Alternative zur erstarrten Honoratiorenherrschaft der DNVP.
Das »Superwahljahr« 1932 brachte den Nationalsozialisten auch in Berlin große Wahlgewinne. Bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 wurde die NSDAP dort mit 28,6 Prozent stärkste politische Kraft vor SPD und KPD, die jeweils 27,3 Prozent erhielten. 73 Nahezu die Hälfte der NSDAP-Stimmen kam aus Lichtenberg, Spandau, Weißensee sowie aus den Innenstadtbezirken Mitte, Prenzlauer Berg, Neukölln, Kreuzberg, Wedding und Friedrichshain. 74
Doch dann zeigte sich gerade in Berlin in dem schlechteren Abschneiden der Partei bei den Reichstagswahlen im November, dass die gemeinsame Aktion von NSDAP und KPD beim Berliner Verkehrsarbeiterstreik im November 1932 die bürgerliche Furcht vor einer womöglich doch revolutionär-sozialistischen NSDAP wieder virulent werden ließ. Die Nationalsozialisten erhielten zwar 720 613 Stimmen (26,0 Prozent) und damit deutlich mehr als die Sozialdemokraten mit 646 644 Stimmen (23,3 Prozent). Gewinner waren jedoch die Kommunisten, die 860 837 Stimmen (31,0 Prozent) erringen konnten 75 – und damit bürgerliche Ängste vor einer drohenden bolschewistischen Machtübernahme schürten.
Erst nach Hitlers Machtantritt am 30. Januar 1933 gelang der NSDAP der Durchbruch in ganz Berlin. Bei den Wahlen am 5. März, die schon von den Repressionen gegen die politische Opposition nach dem Reichstagsbrand am
27. Februar überschattet waren, gaben in der Reichshauptstadt über eine Million Wähler der NSDAP ihre Stimme (34,6 Prozent). Das war immer noch deutlich unter dem reichsweiten Ergebnis von 43,9 Prozent. Aber mittlerweile lagen die Berliner Bezirke nicht mehr so weit auseinander. In Steglitz und Spandau erhielt die NSDAP diesmal mehr als vierzig Prozent der Stimmen, verfehlte jedoch die absolute Mehrheit. In den anderen Bezirken lag sie um die 30-Prozent-Marke, die sie nur noch im Wedding (25,9 Prozent) und in Friedrichshain (28,8 Prozent) verfehlte. Doch auch dort übersprang sie diese Hürde eine Woche später bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung am 12. März. 76
Obwohl die KPD trotz Terror, Verhaftungen und Repression in Berlin insgesamt noch 729 902 Stimmen erhielt (24,5 Prozent) und im Wedding, in Friedrichshain und in Neukölln stärkste Partei blieb, 77 war das »rote Berlin« mittlerweile auf wenige Inseln reduziert, die sich der braunen Mobilisierung in den folgenden Monaten nicht mehr erwehren konnten.
OLIVER RESCHKE
(geb. 1970), Doktorand am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin.
PROF. DR. MICHAEL WILDT
(geb. 1954), Professor für
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