Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
Bulldozerschaufeln ausgerüstet. In Vorbereitung eines solchen Falles hatte er seine Soldaten immer wieder eine ganz bestimmte Vorgehensweise üben lassen. Dabei würden sie mit ihren Panzern friedlich durch den Checkpoint Charlie nach Ostberlin hineinfahren, was ihnen laut Vier-Mächte-Abkommen ja erlaubt war. Danach würden sie allerdings bei der Rückfahrt direkt durch die immer noch im Bau befindliche
Mauer brechen – und damit sicherlich die Kommunisten zu einer entsprechenden Reaktion provozieren.
Um sich warm zu halten und ihre Nerven zu beruhigen, drehten die Panzerfahrer ihre Motoren im Leerlauf hoch und verursachten dabei ein entsetzliches Getöse. Trotzdem hätte das kleine alliierte Kontingent von gerade einmal 12 000 Mann, darunter 6500 Amerikaner, in einem konventionellen Konflikt gegen die etwa 350 000 sowjetischen Soldaten, die in der unmittelbaren Umgebung Berlins stationiert waren, nicht den Hauch einer Chance gehabt. Tyrees Männer wussten ganz genau, dass sie nicht viel mehr als ein Stolperdraht für einen umfassenden Krieg waren, der schneller zu einem Atomkrieg zu werden drohte, als sie »Auf Wiedersehen« sagen konnten.
Dem Reuters-Korrespondenten Adam Kellett-Long, der zum Checkpoint Charlie geeilt war, um den ersten Bericht über diese Machtprobe zu verfassen, wurde es etwas mulmig, als er einen aufgeregten und angespannt wirkenden afroamerikanischen Maschinengewehrschützen auf einem der Panzer beobachtete. »Seine Hand zitterte so stark, dass ich Angst bekam, sein Gewehr könnte losgehen und dadurch den Dritten Weltkrieg auslösen«, erinnerte sich Kellett-Long noch Jahrzehnte später. 14
Um Mitternacht Berliner Zeit, also 18 Uhr Washingtoner Zeit, trafen sich Kennedys wichtigste Sicherheitsberater zu einer Sondersitzung im Kabinettssaal des Weißen Hauses. Der Präsident begann immer mehr zu befürchten, dass die ganze Angelegenheit außer Kontrolle geraten könnte. Genau in dieser Woche hatten Kennedys Nuklearstrategen detaillierte Einsatzpläne für einen eventuell notwendigen atomaren Erstschlag gegen die Sowjetunion fertiggestellt, der Amerikas Gegner völlig zerstören und seinem Militär jede Reaktionsmöglichkeit nehmen würde. Der Präsident hatte diese Pläne allerdings noch nicht abgezeichnet und seine Experten stattdessen mit skeptischen Fragen überhäuft. Trotzdem trübten ihm diese Weltuntergangsszenarien immer noch die Stimmung, als er sich mit seinem Nationalen Sicherheitsberater McGeorge Bundy, Außenminister Dean Rusk, Verteidigungsminister Robert McNamara, dem Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs, General Lyman Lemnitzer, und anderen wichtigen US-Beamten zusammensetzte. Im Laufe der Sitzung riefen sie General Clay über eine sichere Leitung in seinem Westberliner Kartenzimmer an. Clay hatte man mitgeteilt, McGeorge Bundy wolle mit ihm sprechen. Er war deshalb erst einmal völlig verblüfft, als er die Stimme von Kennedy selbst erkannte. 15
»Hallo, Mr President«, sagte er dann ganz laut. Hinter ihm in der Kommandozentrale wurde es schlagartig still.
»Wie stehen die Dinge dort drüben?«, fragte Kennedy mit einer Stimme, die unaufgeregt wirken sollte.
Alles sei unter Kontrolle, entgegnete ihm Clay. »Wir haben zehn Panzer am Checkpoint Charlie. Die Russen haben auch zehn Panzer dort, also sind wir jetzt gleich.«
In diesem Moment reichte ein Adjutant General Clay einen Notizzettel.
»Mr President, ich muss meine Zahlen korrigieren. Man hat mir soeben mitgeteilt, dass die Russen gerade weitere zwanzig Panzer anrollen lassen. Das gibt ihnen dann dieselbe Zahl von Panzern, die wir in Berlin haben. Also werden wir unsere übrigen zwanzig Panzer ebenfalls dorthin schicken. Machen Sie sich darüber keine Sorgen, Mr President. Sie haben nur Panzer für Panzer mit uns gleichgezogen. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass sie nichts Weiteres zu tun beabsichtigen«, versicherte er.
Doch auch der Präsident konnte rechnen. Sollten die Sowjets die Zahl ihrer Panzer noch weiter erhöhen, konnte Clay auf konventionelle Weise darauf nicht mehr reagieren. Kennedy musterte die besorgten Gesichter der Männer in seinem Kabinettssaal. Dann legte er die Füße auf den Tisch. Damit wollte er seinen Beratern, die befürchteten, die Dinge könnten außer Kontrolle geraten, seine eigene Gelassenheit demonstrieren.
»Nun, dann ist ja alles in Ordnung«, sagte der Präsident zu Clay. »Verlieren Sie nur nicht die Nerven.«
»Mr President«, entgegnete Clay mit der für ihn
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