Beute
sein?«
»Nein, Schatz«, sagte ich. »Wir haben das doch besprochen.
Dieses Jahr darf sie bis zehn aufbleiben, weißt du nicht mehr?«
Julia zuckte die Achseln, als könne sie sich nicht erinnern. Und vielleicht erinnerte sie sich wirklich nicht. Wir hatten eine Art Rollentausch vollzogen; immer war sie diejenige gewesen, die mehr über die Kinder gewusst hatte, aber jetzt war ich das. Manchmal hatte Julia Probleme damit, erlebte es irgendwie als Machtverlust.
»Wie geht’s der Kleinen?«
»Ihre Erkältung ist besser geworden. Schnieft nur noch ein bisschen. Sie isst auch wieder mehr.«
Ich ging mit Julia zu den Kinderzimmern. Sie trat in das Zimmer der Kleinen, beugte sich über das Bettchen und küsste das schlafende Kind zärtlich. Ich beobachtete sie und dachte dabei, dass ein Vater niemals an die liebevolle Fürsorge einer Mutter heranreichte. Julia hatte eine innere Verbindung zu den Kindern, wie ich sie nie haben würde. Oder zumindest war die Verbindung anderer Art. Sie lauschte dem leisen Atem der Kleinen und sagte- »Ja, es geht ihr besser.«
Dann ging sie in Erics Zimmer, nahm den Gameboy von der Bettdecke und warf mir einen finsteren Blick zu. Ich zuckte die Achseln, leicht gereizt; ich wusste, dass Eric mit seinem Gameboy spielte, wenn er eigentlich schon schlafen sollte, aber ich hatte zu der Zeit alle Hände voll damit zu tun, die Kleine ins Bett zu bringen, und ich hatte nicht daran gedacht. Ich fand, Julia könnte ruhig mehr Verständnis zeigen.
Dann ging sie in Nicoles Zimmer. Nicole saß an ihrem Laptop, klappte aber den Deckel zu, als ihre Mutter hereinkam. »Hi, Mom.«
»Du bist zu lange auf.«
»Nein, Mom …«
»Du solltest deine Hausaufgaben machen.«
»Die hab ich fertig.«
»Und wieso bist du dann noch nicht im Bett?«
»Weil …«
»Ich möchte nicht, dass du noch bis spätnachts mit deinen Freundinnen chattest.«
»Mom …«, sagte sie in gequältem Ton.
»Du siehst sie jeden Tag in der Schule, das dürfte wohl reichen.«
»Mom …«
»Du brauchst deinen Vater gar nicht so anzugucken. Wir wissen ja, dass er dir alles erlaubt. Jetzt rede ich mit dir.«
Sie seufzte. »Ich weiß, Mom.«
Diese Art der Interaktion zwischen Nicole und Julia wurde immer mehr zur Gewohnheit. Wahrscheinlich war das bei Kindern in dem Alter normal, aber ich hielt es für besser, mich einzuschalten. Julia war müde, und wenn sie müde war, wurde sie streng und allzu autoritär. Ich legte meinen Arm um ihre Schultern und sagte: »Es ist schon spät. Möchtest du eine Tasse Tee?«
»Jack, misch dich nicht ein.«
»Tu ich ja gar nicht, ich wollte bloß …«
»Doch, das tust du. Ich rede mit Nicole, und du mischst dich ein, wie immer.«
»Schatz, wir haben vereinbart, dass sie bis zehn aufbleiben darf, ich weiß nicht, was das …«
»Aber wenn sie mit den Hausaufgaben fertig ist, sollte sie ins Bett gehen.«
»So war das nicht abgemacht.«
»Ich will nicht, dass sie von morgens bis abends am Computer sitzt.«
»Das tut sie auch nicht, Julia.«
In diesem Moment brach Nicole in Tränen aus und sprang schluchzend auf: »Dauernd kritisierst du an mir rum! Ich hasse dich!« Sie lief ins Badezimmer und knallte die Tür zu. Davon wurde das Baby wach und fing an zu schreien.
Julia wandte sich mir zu und sagte: »Würdest du mich das in Zukunft bitte alleine regeln lassen, Jack.«
Und ich sagte- »Du hast Recht. Es tut mir Leid. Du hast Recht.«
In Wahrheit sah ich das keineswegs so. Mehr und mehr betrachtete ich das Haus als mein Haus, die Kinder als meine Kinder. Sie platzte spätabends in mein Haus, nachdem ich dafür gesorgt hatte, dass alles ruhig war, so wie ich es mochte, wie es sein sollte. Und sie machte ein Heidentheater.
Ich fand überhaupt nicht, dass sie Recht hatte. Ich fand, sie hatte Unrecht.
Und in den vergangenen Wochen war mir aufgefallen, dass sich Vorfälle dieser Art häuften. Zunächst glaubte ich, Julia hätte ein schlechtes Gewissen, weil sie so viel weg war. Dann glaubte ich, sie wollte ihre Position verteidigen, die Kontrolle über einen Haushalt zurückgewinnen, der mir in die Hände gefallen war. Und dann glaubte ich, es läge daran, dass sie müde war oder in der Firma so stark unter Druck stand.
Doch in letzter Zeit merkte ich selbst, dass ich Entschuldigungen für ihr Verhalten suchte. Mich beschlich das Gefühl, Julia hatte sich verändert. Sie war anders, irgendwie angespannter, härter.
Die Kleine brüllte aus vollem Halse. Ich hob sie aus dem Bettchen,
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