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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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strengen Gebeten späterer Prälaten in der Luft; die düsteren Laster jungfräulich gebliebener Kilbinnen und die Bußübungen frommer Jünglinge, in diesem dunklen Haus da hinten, in dem jetzt an den stillen Nachmittagen ein blasses, dunkelhaariges Mädchen seine Schularbeiten machte und auf seinen Vater wartete. Oder war er nachmittags zu Hause? Zweihundertundzehn Flaschen Wein, leergetrunken zwischen Anfang Mai und Anfang September. Trank er sie allein, mit seiner Tochter, oder mit Gespenstern? Vielleicht mit diesem Schrella, der nie versucht hatte, ihn zu erreichen?
    Unwirklich alles, weniger wirklich als das aschblonde Haar der Bürokraft, die vor fünfzig Jahren hier an ihrem Platz gesessen und Notariatsgeheimnisse gehütet hatte.
    »Ja, da saß sie, liebe Leonore, genau an der Stelle, wo Sie jetzt sitzen, sie hieß Josephine.« Hatte er auch der Nettigkeiten über ihr Haar, ihren Teint gesagt?
    Lachend zeigte der Alte auf den Wandspruch, der über dem Schreibtisch seines Sohnes hing, einziges Überbleibsel aus vergangener Zeit, weiß auf Mahagoni gemalt: Voll ist ihre Rechte von Geschenken. Sinnspruch Kilbscher wie Fähmelscher Unbestechlichkeit.
    »Meine beiden Schwäger hatten keine Lust an der Juristerei, die letzten männlichen Nachkommen des Geschlechts, den einen zog's zu den Ulanen, den anderen zum Nichtstun, aber beide, der Ulan und der Nichtstuer sind am gleichen Tag, im gleichen Regiment, beim gleichen Angriff gefallen, bei Erby le Huette ritten sie ins Maschinengewehrfeuer, löschten den Namen Kilb
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    aus, trugen Laster, die wie Scharlach blühten, ins Grab, ins Nichts, bei Erby le Huette.«
    Glücklich war der Alte, wenn er Mörtelspuren an den Hosenbeinen hatte und sie bitten konnte, diese Spuren zu entfernen. Oft trug er dicke Zeichenrollen unter dem Arm, von denen sie nie wußte, ob er sie nur seinem Archiv entnommen hatte oder zu wirklichen Aufträgen unterwegs war. Er schlürfte den Kaffee, lobte ihn, schob ihr den Kuchenteller zu, zog an seiner Zigarre. Andacht kehrte auf sein Gesicht zurück.
    »Schulkamerad von Robert? Den müßte ich doch kennen.
    Schrella hieß er bestimmt nicht? Sind Sie sicher----nein, nein, der würde ja niemals solche Zigarren rauchen, welch ein Unsinn. Und Sie haben ihn ins Prinz Heinrich geschickt? Das wird aber Krach geben, liebe Leonore, Stunk. Er liebt es nicht, wenn man seine Kreise stört, mein Sohn Robert. Der war schon als Junge so: liebenswürdig, höflich, intelligent, korrekt, aber wenn's über bestimmte Grenzen ging, kannte er keinen Pardon.
    Der wäre nicht vor einem Mord zurückgeschreckt. Ich hatte immer ein wenig Angst vor ihm. Sie auch? Aber Kind, der wird Ihnen doch deshalb nichts tun, seien Sie vernünftig. Kommen Sie, gehen wir essen, feiern ein wenig Ihr neues Enga gement und meinen Geburtstag. Machen Sie keinen Unsinn. Wenn er am Telefon schon geschimpft hat, ist's ja vorüber. Schade, daß Sie den Namen nicht behalten haben. Ich wußte gar nicht, daß er mit ehemaligen Schulkameraden Umgang pflegt. Los. Kommen Sie. Heute ist Samstag, und er hat nichts dagegen, wenn Sie ein wenig früher Schluß machen. Ich verantworte das schon.«
    Es schlug zwölf von Sankt Severin. Sie zählte rasch die Briefumschläge, dreiundzwanzig, raffte sie zusammen, hielt sie fest. War er wirklich nur eine halbe Stunde bei ihr gewesen?
    Eben fiel der zehnte der zwölf fälligen Schläge.
    »Nein, danke«, sagte sie, »ich zieh den Mantel nicht an und, bitte, nicht in den Löwen.«
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    Nur eine halbe Stunde; die Druckereimaschinen stampften nicht mehr, aber der Keiler blutete noch.
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    2
    Das war für den Portier schon Zeremonie geworden, fast Liturgie, ihm in Fleisch und Blut übergegangen: jeden Morgen Punkt halb zehn den Schlüssel vom Brett zu nehmen, die leichte Berührung der trockenen gepflegten Hand zu spüren, die den Schlüssel entgegennahm; ein Blick in das strenge, blasse Gesicht mit der roten Narbe über dem Nasenbein; dann nachdenklich, mit einem winzigen Lächeln, das nur seine Frau hätte bemerken können, Fähmel nachzublicken, der die einladende Geste des Liftboys ignorierte und, wenn er die Treppe hinaufging, mit dem Schlüssel zum Billardzimmer leicht gegen die Messingstäbe des Geländers schlug: fünfmal, sechsmal, siebenmal klang es auf, wie von einem Xylophon, das nur einen einzigen Ton hatte, und eine halbe Minute später kam dann Hugo, der ältere der beiden Boys, fragte: »Wie immer?«, und der Portier nickte, wußte, daß Hugo

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