Bille und Zottel 06 - Gefahr auf der Pferdekoppel
schließlich wurde das magere Krankenhausfrühstück serviert. So früh mußte sie nicht einmal aufstehen, wenn sie zur Schule ging.
Ja - wenn sie noch vor der Schule in den Stall fuhr, das war etwas anderes! Dafür war sie bereit, nötigenfalls auch mitten in der Nacht aufzustehen. Aber hier, wo man den ganzen Tag nur still herumlag und sich langweilte . . .
Draußen war es noch dunkel. Im Licht der Straßenlaternen erkannte Bille, daß es über Nacht gefroren hatte. Die Bäume waren wie mit einer zarten Zuckerschicht aus Reif überzogen, und am Fenster hatten sich ein paar bescheidene Eisblumen gebildet. Meine Geburtstagsblumen! dachte Bille traurig. Heute bin ich vierzehn. Meinen Geburtstag habe ich mir wirklich anders vorgestellt!
Am schlimmsten war die Trennung von Zottel. Was mußte er denken, daß sie sich so lange nicht um ihn kümmerte! Wie sollte sie ihm klarmachen, daß sie hier festgehalten wurde, daß man sie noch nicht nach Hause lassen wollte! Eine Woche mußte sie es hier noch aushalten! Vielleicht erkannte er sie gar nicht wieder? Vielleicht würde er wochenlang beleidigt sein? Auch wenn die anderen ihr noch so sehr beteuerten, wie sie ihn täglich verwöhnten, ihm die besten Leckerbissen zusteckten -vielleicht würde er gerade darum nichts mehr von ihr wissen wollen?
Bille war hundeelend zumute. Geburtstag zu haben, und von allen, die man lieb hat, getrennt zu sein, das war einfach eine Gemeinheit! Und dann noch diese herzlose Nachtschwester, die einen aus dem schönsten Schlaf riß . . .
Gleichgültig ließ Bille die Prozedur des Bettenmachens und Waschens über sich ergehen. Im Nachbarbett stöhnte die alte Bäuerin aus Leesten bei jeder Bewegung, die man ihr abverlangte. Sie war beim Heuholen vom Scheunenboden gestürzt und hatte sich die Hüfte gebrochen.
Draußen begann es zu dämmern. Bille beobachtete ein paar Spatzen, die sich die Brotkrumen vom Fensterbrett holten, die sie gestern abend vorm Einschlafen dort hingestreut hatte.
„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Bille!“ tönte es plötzlich hinter ihr.
Die Stationsschwester hatte einen Wagen hereingerollt und unbemerkt an Billes Bett geschoben. Ein großer Blumenstrauß stand darauf, und daneben ein Geburtstagskuchen mit einer Kerze. Bille entdeckte zwei Tafeln Schokolade mit einer Glückwunschkarte der Schwestern und ein Taschenbuch: „Die Stute Georgina“.
Bille setzte sich überrascht auf.
„Oh, danke! Das ist ja phantastisch! Wie lieb von Ihnen!“
„Den Kuchen und die Blumen hat deine Mutter eben vorbeigebracht. Sie muß schnell ins Geschäft, aber sie kommt vorm Mittagessen noch zu dir. Und heute nachmittag wirst du viel Besuch bekommen! Da - das habe ich dir auch noch mitgebracht, es wird dich sicher interessieren.“
Die Schwester zog einen Zeitungsartikel aus der Schürzentasche und legte ihn vor Bille aufs Bett.
„Pony entlarvt gewissenlose Rockerbande“, stand in dicken Lettern darüber, und daneben war ein Foto von Zottel.
„Lind ob mich das interessiert! Danke schön, Schwester Uschi. Meine Laune fängt an, sich zu bessern“, stellte Bille vergnügt fest. „Vor fünf Minuten war ich noch in Weltuntergangsstimmung. und jetzt bin ich bereit zuzugeben, daß das Leben auch seine angenehmen Seiten hat.“
„Weltuntergangsstimmung, wenn man vierzehn wird? Das möchte ich nicht gehört haben!“ kam Onkel Pauls dröhnender Baß von der Für her. „Guten Morgen, Geburtstagskind. Herzlichen Glückwunsch! Ich hab mir gedacht, du hättest vielleicht gern Gesellschaft beim Frühstück? Man hat es mir ausnahmsweise erlaubt
„Ich stelle fest, der Tag hat seinen ersten Höhepunkt, vor allem, wenn ich richtig vermute, was du da in der Tüte hast!“ Onkel Paul zog sich einen Stuhl heran und leerte den Inhalt der Tüte auf Billes Frühstückstablett. Zartrosa Schinken kam da zum Vorschein, zwei gekochte Fier und ein Stück von Billes Lieblingskäse. Außerdem zwei knusprige Butterhörnchen und ein Glas von Mutschs selbstgekochter Kirschmarmelade.
„Ich weiß doch, was dir hier am meisten fehlt, meine Lütte. Laß es dir schmecken.“
Der Aufforderung bedurfte es nicht. Bille futterte drauflos, als hätte man sie drei Tage hungern lassen. Onkel Paul erzählte unterdessen von zu Hause, und was es bei Inge und Thorsten
Neues gab, und daß Herr Tiedjen versprochen habe, Bille am Nachmittag ihres Geburtstags zu besuchen.
„Bettina und die Jungens kommen natürlich auch“, sagte er. „Und Karlchen, Inge
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