Bitteres Blut
Knoblauchwolke, die ihn zurückweichen ließ.
»Was?«, fragte Böse fordernd.
»Es geht um eine Meldung«, formulierte Lorinser vorsichtig, »nach der er von einem Unglück betroffen sein könnte. Konkretes haben wir bisher allerdings nicht.«
Die haarlosen Brauenwülste zogen sich über der Nasenwurzel zusammen. Die rechte Hand fuhr auf Lorinser zu.
»Warum kommen Sie nicht zur Sache? Sieht ja fast so aus, als wollten Sie mir etwas schonend beibringen.«
Lorinser entschloss sich, Klartext zu reden. Böse hörte sich seine kurze Schilderung regungslos an. Nur seine Augen schlossen sich für einen kurzen Moment. Er verschränkte die knochigen Arme, nickte und starrte den Beamten einige Sekunden lang wie lästiges Ungeziefer feindselig an.
»Ungutes Blut«, stieß er bitter hervor. »Ein Tunichtgut! Will und kann nicht standhalten. Ein furchtbar dummer Junge!«
»Ist er nun hier oder nicht?«
»Saufen und die verdammten Weiber! Kein Charakter, immer auf der Flucht! Nein, hier ist er nicht … Ist er tot?«
»Wenn die Beobachtung des Zeugen stimmt, muss damit gerechnet werden, Herr Böse.«
Der Alte fixierte den Polizisten. Die wie ein Raubvogelschnabel gebogene Nase war von einem Geflecht geplatzter Äderchen überzogen. Die dünnen, nassen Lippen zuckten. Lorinser war sich nicht sicher, ob das ein Zeichen aufgewühlter Gefühle oder schlicht altersbedingt war. Es hatte den Anschein, als habe der Alte durchaus mit dem Tod seines Sohnes gerechnet. Wie auch immer, das Verhältnis zwischen den beiden war sicherlich nicht von inniger Zuneigung bestimmt.
»Wann haben Sie Ihren Sohn zuletzt gesehen?«
»Gestern. Er kam wenige Minuten vor Mitternacht. Betrunken natürlich. Er brauchte Geld. Ich habe ihm gegen Unterschrift zweihundertfünfzig Euro gegeben.« Böse registrierte Lorinsers Erstaunen. Mit einer herrischen Handbewegung schnitt er ihm das Wort ab. »Klare Verhältnisse«, fuhr er harsch fort. »Besitz muss verdient werden!«
»Er ist Ihr Sohn.«
»Er trägt lediglich meinen Namen.«
Mitleidlosigkeit war in seiner Stimme, eine Härte, die Lorinser erschreckte. Er selbst war zwar auch in einer zerrissenen Familie aufgewachsen und hatte unter der oberlehrerhaften Strenge seines vom hoch bezahlten Bauingenieur zum Bauarbeiter abgestürzten Vaters gelitten, aber trotz des harten Panzers der Verbitterung Verlässlichkeit, Fürsorge und Liebe erfahren. Dieser alte Mann schien seelisch durch und durch erkaltet.
War es das, was Wolfhardt Böse verbitterte: dass der Angenommene nicht angenommen hatte und – wenn er denn unter der Eiche geendet war – in den Tod geflüchtet war?
»Wann hat er das Haus wieder verlassen?«, fragte Lorinser mit dem Gefühl, gegen eine Wand zu sprechen.
»Punkt Null«, sagte Böse trocken wie ein Automat. »Die Uhr in der Diele schlug gerade, als er die Tür hinter sich schloss.«
»Ist er zu Fuß fortgegangen?«
»Nein, er ist gefahren. Ich habe ihm dummerweise diesen teuren Wagen gekauft.«
»Er fuhr Porsche, nicht wahr?«
»Wenn man das Fahren nennen kann, ja. Es war wohl mehr ein Zelebrieren. Angeberei, um es genau zu sagen.«
»In Diepholz angemeldet?«
»Natürlich in Diepholz.«
»Die Farbe?«
»Gelb, mit schwarzen Streifen an den Seiten. Wieso ist das so wichtig? Ich meine, ist er tot oder ist er es nicht?«
Keine brennende Neugier in seiner Stimme. Eine Frage wie nach dem Wetter. Und doch, die Ruhe des Alten war gespielt, fand Lorinser, schien eine Frage eiserner Beherrschung zu sein. Die Finger bewegten sich, griffen in die Luft, als wollten sie einen Gegenstand ergreifen. Eine schwere Last schien ihn seit Langem zu beugen, eine tiefe Abneigung gegen die Welt, die er mit scharfem Hund und Stacheldraht von sich fern zu halten versuchte.
»Wir wissen es nicht«, gestand Lorinser. »Unser Zeuge behauptet zwar, sich keinesfalls getäuscht haben zu können, aber die Lichtverhältnisse lassen begründete Zweifel zu. Ist es denn häufiger geschehen, dass Ihr Sohn fortblieb?«
»Versackt ist er schon mal, ja, aber morgens war er immer da, hat sich umgezogen und ist zur Arbeit gefahren. Nein, es ist schon ungewöhnlich.«
»Wie lange leben Sie zusammen?«
Böse strich sich über die Glatze. »Ich habe ihn zu mir genommen, als er neunzehn war. Jetzt ist er vierundzwanzig. Also fünf Jahre.«
Genommen . Lorinser atmete tief ein. Das Bild einer knochigen Hand, die das Genick eines jungen Hundes ergreift und ihn kräftig durchschüttelt, drängte sich ihm
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