Bittersüßes 7. Jahr
guten Gemeinsamkeit aufrechterhalten! Ein Korsett der strammen Haltung.«
Er trat an das große Fenster hinter dem Schreibtisch, zog den Vorhang etwas zurück und blickte hinaus auf den Vorgarten und die abendliche stille Uferstraße.
Das Haus der Sachers lag etwas außerhalb der Stadt nach Kaiserswerth hin, unmittelbar an der Rheinpromenade, die von Düsseldorf den Strom hinabführt, bis sie sich in flachen Wiesen verläuft. Vom Vorgarten des weißen, flachen Hauses mit den großen Fensterflächen waren es nur wenige Schritte zum Ufer, und es roch herb nach Tang und Wasser.
Langsam, tief liegend, zogen am Tag die Schleppkähne über den Rhein, und abends, wenn Peter und Sabine auf ihrer Terrasse saßen unter dem bunten Schirm, dessen schwerer Betonfuß auf breiten, weißen Steinplatten stand, dröhnten die Sirenen der Dampfer durch das Sommerdunkel und klang das Plätschern der Brecher an das steingefaßte Ufer bis hinein ins Schlafzimmer.
Das Haus selbst lag in einem großen Garten, der sich parkähnlich bis zu einer Chaussee erstreckte und einen kleinen Pavillon verbarg. Er wurde an warmen Sommerabenden bei Gesellschaften benutzt und hatte daher den Namen ›Kaffeeklatsch-Tempel‹ erhalten. Aber auch wenn Peter absolute Stille suchte, weil er an einem schwierigen Entwurf arbeitete, zog er sich hierhin zurück.
Sonst war der große Garten das Reich Sabines. Hier konnte sie den Blumen die Liebe geben, die Peter vor lauter Arbeit und Terminen nicht empfangen konnte oder wollte, wie es Sabine bald schien, wenn sie seine Gleichgültigkeit ihren zärtlichen Ansätzen gegenüber sah.
Nachdenklich blickte Peter aus dem Fenster auf den Strom; die Nacht war hell, und die Wellen blinkten.
»Ich habe mir gedacht, daß wir nächste Woche Ferien machen«, sagte Peter zögernd und nestelte an der Gardine. Aus den Fransen drehte er kleine Würstchen. »Wo sollen wir die Wochen verleben? See? Gebirge? Großstadt? Landluft? Einsamkeit? Gesellschaft? Mir ist alles gleich. Du kannst es dir aussuchen. Ich will nur Tapetenwechsel.«
»Mir wäre am liebsten die See.«
Natürlich, ihm ist es gleich, grübelte Sabine. Nur Tapetenwechsel will er haben. Nach einem Jahr Herumirren in der Welt! Ob See, Gebirge oder ewiges Eis. Er sieht mich sowieso nicht, wie er mich das ganze Jahr über nicht vermißt hat. Er wird mit mir durch die Dünen wandern, er klettert mit mir auf die Berge, sitzt in den Hotels oder fährt mit einem Boot über die Lagunen, und das alles mit der gleichen Miene, als gehe es ihn nichts an, als sei er weit von allen Dingen entfernt, als sei er auch jetzt nicht dort, wo er ist. Und nach diesen sechs Wochen ›Erholung‹ fährt man dann wieder nach Hause, läßt die Fotos entwickeln (die man routinemäßig macht, weil sie eben zum anständigen Urlaub gehören), klebt sie in ein Album und zeigt sie später den neugierig anschwirrenden Bekannten und Verwandten. »O ja, es war schön. Es war herrlich. Unvergeßliche Tage.«
Dann legt man sie wieder weg, irgendwo in eine Ecke, und mit ihnen legt man die Verbindlichkeit der Erinnerung ab, gähnt und fühlt sich viel müder als vor der Ferienreise. Und vor allem viel langweiliger, weil man ja nichts anderes erlebt hat als sechs Wochen sich selbst.
Wir leben uns auseinander, dachte Sabine erschrocken und wandte sich wieder Peter zu. Sie sah seinen Rücken und die langen graumelierten Haare. Er war einmal ein netter Mann. Vor sieben Jahren. Er konnte tanzen, bis die Füße brannten, er konnte plaudern, daß allein der Klang seiner Stimme genügte, um glücklich zu werden.
Heute? Sabine lehnte sich an das große, offene Bücherregal und schüttelte den Kopf. Sie begriff es einfach nicht. Was von Peter geblieben war, war ein vorzüglicher Maßanzug, ein selbstsicheres Benehmen, ein vorbildliches Zurschaustellen ihrer glücklichen Ehe in der Gesellschaft, und ab und zu ein Kuß vor dem Schlafengehen, der soviel bedeutete wie: »Das hast du heute gut gemacht! Ich danke dir.«
Einem Pferd streichelt man die Nüstern und klopft ihm auf die Kruppe. Ehefrauen sollen sich mit einem Küßchen begnügen als Dank für das Abendessen, für die Ruhe, für den Kaffee, für irgend etwas, was ›ihm‹ zusagte.
Und dann ging man in die Schlafzimmer, zog sich aus, betrachtete sich im großen Spiegel und sagte sich immer wieder, daß man doch noch nicht so alt sei, um ausschließlich nur den Erinnerungen zu leben, kroch dann ins Bett, wehmütig, Jugend und Schönheit zu verschlafen
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