Blackout (German Edition)
einem riesigen Platz in einer Waldlichtung. Rechts ein Felsabbruch, links die Berge, vor uns ein Gebäudekomplex wie aus einem Gruselfilm, um uns Wald. So viel zum Thema Natur. Nicht in die Natur, dafür zum Gebäude, passen die schwarz gekleideten Sicherheitsleute, von denen es beinahe so viele gibt wie Bäume.
Natürlich fällt mir genau jetzt diese kindische Warnung ein, die vor einer Woche im Briefkasten lag.
»Was ist?«, zischt Tessa. »Warum steigst du nicht aus?«
Ich will nicht aussteigen. Weil man uns dann verschwinden lassen wird.
Vielleicht stelle ich das am besten gleich klar: Ich hab einen an der Waffel. So wie Leute, die mit sich selbst reden, oder Leute, die sich einen imaginären Hund zulegen und ihn dann spazieren führen. Bei mir sind es keine Hunde oder sonstigen Haustiere, sondern irgendwelche kruden Ängste, die mich aus heiterem Himmel anfallen. Ich hab ihnen einen Namen gegeben. Paranoia. Das macht die Sache nicht einfacher, aber hey, wenigstens hat das Grauen jetzt einen Namen.
Tessa rammt mir ihren Ellbogen in die Seite.
»Die verarschen uns«, sage ich und bleibe sitzen. Dass ich Schiss habe, behalte ich für mich. Tessa kann mit so was Lachhaftem wie Angst nicht umgehen.
»Tun sie nicht.« Tessa argumentiert nicht. Nie. Sie sagt,wie etwas ist. Oder wie sie denkt, dass es ist. Das macht das Streiten mit ihr mühsam. Im schlimmsten Fall hört sie sich einhundertundeins Punkte an, die man für eine Sache vorbringt, und antwortet dann: »Aber ich will es anders machen.« Kein »Weil …«. Sie hat so eine totale Sicherheit, die sie nicht zweifeln lässt. Auch beim Spielen. Weshalb sie meistens besser ist als ich. Sie gewinnt auch jetzt. Ich stehe auf und mache ihr Platz. Warte darauf, dass sie sich von ihrem Sitz am Fenster erhebt und an mir vorbeigeht.
»Du zuerst«, sagt sie.
Schon klar. Wenn nicht die Erste, die aussteigt, dann die Letzte. Ich tue ihr den Gefallen und klettere vor ihr aus dem Bus. Während ich zu den anderen hinübergehe, bemerke ich den spöttischen Blick, den mir Lara Croft zuwirft. Ich erwidere ihn, gleite an ihren Augen ab und bleibe an den Oberarmen hängen. Leicht gebräunt, kein Gramm Fett, auf eine gute Art muskulös. Ich zwinge meinen Blick wieder hoch, zurück zu den Augen, doch für Lara Croft bin ich offensichtlich uninteressant. Sie beobachtet die Sicherheitstypen.
Normalerweise fühle ich es, wenn Tessa sich anschleicht. Diesmal erwischt sie mich.
»Sie gefällt dir«, flüstert sie. Dann drückt sie ihre Zungenspitze an meinen Nacken. Nur schnell, eine Erinnerung daran, zu wem ich gehöre. Ich habe keine Lust auf die Wahrheit. Also sage ich: »Nein.«
Natürlich durchschaut Tessa mich. »Ihr Arsch ist wirklich beeindruckend.«
Sie will mich wütend machen. Es gelingt ihr und das macht mich noch wütender. Dass sie genau weiß, wo sie ihre Nadelstiche anbringen muss, und ich jedes Mal darauf reagiere, egal, wie sehr ich mir vornehme, es nicht zu tun. Mir wird grad ziemlich schmerzhaft klar, was mein Problem ist. Ich bin am falschen Ort, auf der falschen Mission, mit der falschen Frau und einer Paranoia in Hochform. Die einzig richtige Reaktion wäre die Flucht, aber ich fliehe nicht, sondern folge den anderen in eine Kantine.
Seit dem letzten Weltkrieg hat hier keiner mehr was verändert. Mit einer Ausnahme. Überall hängen modernste Überwachungskameras. Ich bin bei Big Brother gelandet.
10. Juli. Militärareal Praditsch. Trakt A. Kantine. 15.00 Uhr. Greti.
Yuki und Carlos steuern den Tisch ganz hinten beim Fenster an. Sebi und ich folgen ihnen, vorbei an den Teams, von denen jedes einen eigenen Look hat: Hip-Hopper, Möchtegern-Skins, Goths, Fantasygestalten, Großstadtnomaden.
»Ich habe sie gezählt«, flüstert Sebi. »Auf jeden von uns kommt einer von den Sicherheitsleuten.« Mit einer hastigen Handbewegung schiebt er seine Brille nach oben. »Hast du die Kameras gesehen? Und dann dieser Psychofreak …«
Ich erfahre nicht, was Sebi über unseren Psychologen mit dem nordischen Nachnamen sagen will, denn er stolpert über den Stiefel eines unserer Bewacher. Seine rudernden Arme finden Halt an meinen Schultern. Einen Moment lang taumeln wir zwischen den Tischreihen wie zwei betrunkene Tanzbären. Wir fangen uns kurz vor dem Sturz auf, legen die letzten paar Schritte unfallfrei zurück und setzen uns zum Rest unseres Teams.
»Ruhe!«, schnarrt es durch den Raum.
Ich drehe mich um. Der Hüne, von dem ich inzwischen weiß, dass er
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