Blankes Entsetzen
auf seinen Vater zu und bremste scharf. »Was hast du meiner Mutter getan?«
»Beruhige dich, Jack.« Christophers noch immer
geschundenes Gesicht war aschfahl, während er an seinem schwarzen Seidengürtel herumfingerte. »Kein Grund, dass du dich aufregst.«
»Du Schwein«, sagte Jack. »Du widerliches Schwein!«
Lizzie stand aus dem Bett auf. »Es geht mir gut, Jack.«
Er ignorierte sie, starrte nur weiter seinen Vater an.
»Wie konntest du nur?«, fragte er leise. »Wie konntest du nur so etwas tun?«
Christopher streckte den rechten Arm aus. Seine Hand zitterte.
»Komm her, mein Sohn. Du verstehst das nicht, du bist noch zu jung …«
Das Brüllen, dass Jack ausstieß, als er plötzlich mit seinem Rollstuhl nach vorn schoss und gegen die Beine seines Vater prallte, war ein Laut reinster Qual. Christopher schrie auf, 383
wankte einen Moment vor Schmerzen und machte dann einen Schritt nach links, um zu entkommen.
Jack rollte ein gutes Stück zurück, dann raste er mit einem weiteren grauenvollen Brüllen nach vorn, und eine stählerne Ecke des Rollstuhls stieß gegen Christophers rechtes Knie.
»Jack, um Himmels willen!«, schrie er. Sein Bein musste höllisch wehtun, denn er sank zu Boden.
»Jack, bitte!« Lizzie brach in Tränen aus. »Jack, hör auf damit.«
Edward erschien in der Tür, schlaftrunken zuerst, dann schlagartig hellwach vor Schreck und Unglauben. »Jack, was tust du da?«
»Frag ihn!«, sagte sein Bruder und nahm erneut Anlauf.
»Er ist verrückt geworden.« Christopher hielt sich das schmerzende rechte Bein.
Lizzies Tränen versiegten augenblicklich. »Edward, sorg dafür, dass Sophie in ihrem Zimmer bleibt.«
»Aber was ist denn passiert?«
»Geh zu Sophie, Edward«, befahl Lizzie. »Sofort!«
Jack schien eine Sekunde zu zögern, doch dann schoss der Rollstuhl wieder nach vorn. Erneut schrie Christopher auf. Und Edward rannte los.
Die darauf folgenden Stunden vergingen in einem Nebel, in dem Lizzie nur halb bei sich war. Als Jack endlich in seinem Rollstuhl zusammengesunken war, völlig erschöpft, humpelte Christopher aus dem Zimmer, zog sich an und floh aus dem Haus. Edward kam wieder aus Sophies Zimmer, um zu berichten, dass seine Schwester wundersamerweise während des ganzen Albtraums friedlich geschlummert hatte.
Er blieb an der Schlafzimmertür seiner Mutter stehen und schaffte es kaum, Jack anzusehen, der immer noch schweigend 384
und mit geschlossenen Augen an der gegenüberliegenden Wand in seinem Rollstuhl saß. Lizzie ging kurz in sein Zimmer, zog die Decke von seinem Bett, brachte sie zu ihm und wickelte ihn darin ein, weil er immer noch heftig zitterte.
»Geht es Jack bald wieder gut, Mom?«, fragte Edward leise.
»Ich glaub schon«, antwortete Lizzie, ebenfalls sehr leise.
Dennoch kam Edward nicht ins Zimmer, als fürchte er, damit in die rätselhafte Welt einzutreten, in der etwas so Entsetzliches hatte geschehen können. Später, vermutete Lizzie, würde er bestimmt Fragen stellen, würde wissen wollen, was sein Vater getan hatte, dass er seinen liebevollen, friedfertigen Bruder so in Wut versetzt hatte, aber im Augenblick hoffte er offenbar noch, dass ihm die volle Wahrheit erspart blieb.
»Was ist mit dir, Mom?«, fragte er.
»Mir geht es gut, Schatz«, sagte Lizzie.
Eine weitere Lüge von vielen.
»Geh wieder schlafen, Edward«, sagte sie. »Wenn du kannst.«
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher.«
Er kam ins Zimmer, lief rasch, ohne nach rechts oder links zu schauen, zu seiner Mutter und drückte ihr einen nervösen Kuss auf die Wange, um dann gleich wieder zurück zur Tür zu gehen.
»Wenn du mich brauchst, Mom …«, sagte er.
»Dann rufe ich dich, mein Schatz«, sagte sie. »Gute Nacht.«
»Nacht Jack«, sagte Edward.
Jack antwortete nicht.
Gilly kam kurz darauf nach Hause. Oben sah sie Lizzies Tür offen stehen und trat ein, um Lizzie auf dem Teppich neben Jacks Rollstuhl knien und seine Hand halten zu sehen. Jack, mit dem Gesicht zur Wand, rührte sich nicht und zeigte auch sonst 385
keine Reaktion.
»Was ist passiert?«, fragte sie.
Lizzie drehte sich um und sah sie an. Ihr Gesicht war eine Maske der Verzweiflung.
»Wir hatten einen kleinen … Eklat«, sagte sie.
Zum ersten Mal regte Jack sich, öffnete die Augen und drückte seiner Mutter die Hand.
»Es geht mir gut, Gilly«, sagte er.
»Da bin ich froh.«
Lizzie hielt seine Hand weiter fest. »Was willst du tun, mein Schatz? Ein bisschen schlafen? Etwas Heißes
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