Bleiernes Schweigen
und Kriminalität, in den bedeutende Vertreter der italienischen Politik, Wirtschaft und Finanz verwickelt sind. Vornan, um nur ein Beispiel zu nennen, die Ferruzzi-Gruppe aus Ravenna und Raul Gardini 1 , der Reeder des Seglers
Moro di Venezia
, der in jenen Tagen im America’s Cup antritt. Sie stehen im Zentrum dessen, was später als »Mutter aller Schmiergeldaffären« bezeichnet werden wird. Im Juli 1993 begeht Gardini durch einen Schuss in die Schläfe Selbstmord. Allerdings wird die Pistole, aus der zwei Kugeln abgefeuert wurden, zwei Meter von ihm entfernt gefunden, und seine Hände weisen keinerlei Spuren vom Gebrauch der Waffe auf.Obwohl Tangentopoli am 23. Mai 1992 noch ganz am Anfang steht, ist klar, dass die Flut bald über die Ufer treten wird. An jenem Tag ermordet die Cosa Nostra Giovanni Falcone. Der Richter hatte einen bedeutenden Posten im Justizministerium in Rom angenommen. Um ihn in Capaci unweit von Palermo zu töten, sprengt die Cosa Nostra ein Stück Autobahn in die Luft. Eine für die Mafia ungewöhnliche Methode, ein Strategiewechsel und eine kaum zu ignorierende Allmachtsbekundung.
Am 19. Juli 1992 ist Paolo Borsellino an der Reihe, der nach Falcones Tod zur Symbolfigur im Kampf gegen die Mafia geworden ist. Die Methode ist ähnlich, eine Autobombe vor dem Haus seiner Mutter in der Via d’Amelio in Palermo. Die Explosion zieht die gesamte Straße in Mitleidenschaft und verwandelt Palermo in einen Vorort von Beirut. Die Schuldigen sind bald gefasst.
Jahre später besteht allerdings kein Zweifel mehr, dass die vermeintlichen Täter nur das Bauernopfer eines geschickten Manövers sind, das allzu deutlich nach Staat riecht.
1993 kommt es zum Zusammenbruch. Die Verhaftungen von Tangentopoli bringen das politische System zum Einsturz. Die Democrazia Cristiana und die Sozialisten gehen unter, und die aus der ehemaligen Kommunistischen Partei hervorgegangenen Linksdemokraten (PDS) betreten die Bühne. Die Politik weicht einer fast ausschließlich technischen Regierung unter der Führung des italienischen Zentralbank-Chefs Ciampi. Giulio Andreotti wird der Mafia-Begünstigung beschuldigt, die Justiz ersucht das Parlament um Erlaubnis, gegen den Generalsekretär der Sozialisten Craxi vorgehen zu dürfen. Als sich das Parlament verweigert, geht die Öffentlichkeit auf die Barrikaden. Eine ganze politische Klasse bricht unter der Last der Skandale, Kriminalität und Korruption zusammen.
Die Cosa Nostra verliert ihre Gewährsleute und sucht sich neue. Schon seit der Landung der Alliierten im ZweitenWeltkrieg wurde sie als Bollwerk gegen den italienischen Kommunismus benutzt.
Und die Bomben kehren zurück. Diesmal treffen sie Baudenkmäler: die Uffizien, zwei Kirchen in Rom, den Padiglione d’Arte Moderna in Mailand. Jahre später stellt sich heraus, dass eine weitere Bombe unmittelbar nach einem Fußballspiel im Olympiastadion hochgehen sollte. Einem Defekt oder einem Sinneswandel ist es zu verdanken, dass es zu keinem weiteren Blutbad kam.
Zu den Bomben bekennt sich eine Gruppe, die sich Falange Armata nennt. Der Name erweist sich als leere Hülle, von der man nicht weiß, wer sich dahinter verbirgt. Es kommt recht schnell ans Licht, dass die Cosa Nostra die Bomben gelegt hat. Doch hat sich die Cosa Nostra noch nie zu etwas bekannt, sie hat stets klare Ziele getroffen, erklärte Feinde, Politiker, Richter, Polizisten. Die Cosa Nostra sprengt keine Denkmäler und Kirchen in die Luft, sie zerstört keine Kunstwerke, sie zerstört nicht blind.
Die Bomben von 1993 haben nur ein Ziel: die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen.
Anfang des Jahres geht der Boss der Corleonesi Totò Riina den Carabinieri während einer Razzia ins Netz. Doch der Unterschlupf, in dem er gefasst wird, wird nie durchsucht. Sein Nachfolger wird Bernardo Provenzano. Er ist seit Jahrzehnten flüchtig und nur wenige kennen sein Gesicht.
In diesem vom allgemeinen Chaos verängstigten und zutiefst verunsicherten Italien betritt Silvio Berlusconi die politische Bühne. In einer an sämtliche Fernsehsender übermittelten Videobotschaft verkündet er seine Kandidatur bei den Parlamentswahlen. Es ist der 26. Januar 1994, doch sein Vorhaben ist seit mindestens einem halben Jahr bekannt. Seine neu gegründete Partei Forza Italia gewinnt die Wahlen, und Insider behaupten, der Plan dazu sei bereits 1992, zu Beginn von Tangentopoli, gefasst worden.
Silvio Berlusconi wird zum Mittelpunkt der italienischen Politik.
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