Bleiernes Schweigen
»DIE VERHANDLUNG«
Der vorliegende Roman basiert auf Tatsachen, die sich seit 1992 in Italien zugetragen haben. Tatsachen, denen Untersuchungen und Prozesse folgten. Tatsachen, die bis heute Gegenstand von Ermittlungen sind, welche wiederum zur Wiederaufnahme weiterer Untersuchungen und zur Revision wichtiger Urteile führten. Tatsachen, die die Beziehungen zwischen Staat, Mafia, Finanz und Politik betreffen und die die jüngste italienische Geschichte entscheidend geprägt haben.
Im Februar 1986 werden die führenden Köpfe der sizilianischen Cosa Nostra vor Gericht gestellt. Ein historischer Prozess sowohl hinsichtlich seiner Ausmaße (über 400 Angeklagte in einem eigens errichteten, anschlagsicheren Bunker) als auch hinsichtlich des Zeichens, das der Staat damit setzen will: ein Frontalangriff gegen die Cosa Nostra, aus dem die Entschlossenheit spricht, den Kampf gegen das nicht nur in Sizilien, sondern in ganz Italien verwurzelte organisierte Verbrechen aufzunehmen und dessen finanzielle Macht und den Einfluss auf die legale Wirtschaft des Landes zu brechen.
Es ist ein fataler Irrtum, anzunehmen, die Cosa Nostra beträfe nur Sizilien. Da es der Mafia um Geld und Macht geht, agiert sie dort, wo Geld und Macht zu haben sind. Wie jedes erfolgreiche wirtschaftliche Unternehmen hat sie einen Hauptsitz, ein gewisses Herkunftsbewusstsein und ein Gespür für lukrative Investitionen.
Entscheidender Auslöser für den sogenannten Maxi-Prozess waren die Enthüllungen des Kronzeugen Tommaso Buscetta gegenüber dem Richter Giovanni Falcone. Seine Aussage legte erstmalig die interne Organisation, Kommandostruktur, Machtverteilung und Ökonomie der Mafia offen. Zwar gibt Buscetta deren politische Kontakte nicht preis, doch das von ihm entworfene Bild reicht aus, um Dutzende lebenslängliche Freiheitsstrafen und mehrere tausend Jahre Haft zu verhängen. Zum ersten Mal wird mit diesem gerichtlich gefällten Urteil, welches fortan in sämtlichen Mafiaverfahren Gültigkeit hat, das Bestehen der Cosa Nostra und damit der Mafia als kriminelle Organisation anerkannt. Ein Meilenstein für die italienische Rechtsprechung: Die Mafia
existiert
, so steht es schwarz auf weiß geschrieben, und ihr anzugehören ist ein Vergehen.
Das endgültige Urteil nach drei Instanzen erfolgt am 30. Januar 1992. Die Protektion, die zahlreiche Cosa-Nostra-Leute bis dato genossen haben, scheint ihre Wirksamkeit verloren zu haben.
Und die Cosa Nostra reagiert.
Das Kommando hat der Clan der Corleonesi unter Totò Riina, der Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre einen blutigen Mafiakrieg gegen die alten palermischen Mafiafamilien gewonnen hatte. Die Botschaft an die Politik ist unmissverständlich. Im März 1992 wird Salvo Lima in Palermo ermordet. In Sizilien ist Lima gleichbedeutend mit Giulio Andreotti. Er ist dessen Mann, die Speerspitze der Democrazia Cristiana, die seit Kriegsende ununterbrochen an der Regierung ist. Der Mord an Lima spricht deutliche Worte:
Ihr habt uns nicht geschützt, und dafür werdet ihr büßen.
Es ist der erste in einer langen Reihe von Morden, die von den führenden Köpfen der Mafia am grünen Tisch beschlossen werden. Im Visier stehen christdemokratische Politiker ersten Ranges, der Justizminister, Polizisten, Journalisten und Richter, insbesondere zwei, die Inbilderfür den Kampf gegen die Mafia: Giovanni Falcone und Paolo Borsellino. Vorbereitungen werden getroffen, Beschattungen veranlasst, geeignete Orte ermittelt und Einsatzkommandos zusammengestellt.
Während die Cosa Nostra ihren Racheakt plant, kommt es in der italienischen Politik zum Eklat. Die Korruption, seit Jahren in aller Munde, ohne dass etwas Nennenswertes unternommen worden wäre, dringt mit einemmal an die Oberfläche. Im Februar 1992, einen Monat vor Limas Tod, wird Mario Chiesa, der Präsident eines großen Mailänder Altersheims, auf frischer Tat ertappt, als er Schmiergelder für eine Auftragsvergabe einstreicht. Zuerst streitet er alles ab, doch dann packt er aus und löst einen unaufhaltsamen Dominoeffekt aus. Die Sekretäre und Verwaltungsspitzen sämtlicher Regierungsparteien sowie deren Sekretäre geraten ins Fadenkreuz der »Tangentopoli«-Ermittlungen. Es geht um Schmiergelder in gigantischen Höhen, mit denen sich die Politik finanziert, gezahlt von Unternehmern und Geschäftsleuten als Gegenleistung für abgekartete Auftragsvergaben, Gefälligkeiten und Freundschaftsdienste. Ein riesiger Sumpf aus Korruption
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