Bleiernes Schweigen
Wirtschaft funktioniert nur, wenn auch Teile der Exekutive involviert sind.
Wer in Italien als Polizeibeamter, Staatsanwalt oder Richter den politisch Mächtigen und der Mafia heutzutage zu nahe kommt und deshalb ihre ökonomischen und politischen Interessen gefährdet, der lebt auf jeden Fall gefährlich oder er wird, bürokratisch korrekt, auf ein totes Gleis gesetzt. Giulio De Magistris, ehemaliger Staatsanwalt und heutiger Bürgermeister Neapels, hat dazu folgendes gesagt: »Wer die Mafia besiegen will, muss diesen Knoten (das Geflecht aus korrupten Politikern, Beamten, Geschäftsleuten und Mafiosi) durchschlagen. Doch das ist kaum möglich. Wir sind viel zu wenige, zu wenige Staatsanwälte, zu wenige Polizisten. Und wir sind schlecht ausgestattet … Wir Justizbeamten, die ihr Leben riskieren, werden täglich von der Politik attackiert. Und die Gesetze, die diese Regierung macht, erschweren uns die Arbeit.« 4 Er hat seine eigenen Erfahrungen mit diesem System gemacht. Giulio De Magistris ermittelte gegen höchste Repräsentanten der italienischen Mitte-Links-Regierung. Im Visier der Ermittler standen im Jahr 2006 auch Regierungschef Romano Prodi und Justizminister Clemente Mastella. Dem Justizminister wurde vorgeworfen, staatliche und europäische Mittel umgeleitet und sie unter anderem zur Parteienfinanzierung und zum Stimmenkauf eingesetzt zu haben. Die Ermittlungen liefen unter der Bezeichnung »Why not?«. Clemente Mastella, der im Jahr 2006 zum Minister der Mitte-Links-Regierung ernannt wurde, erklärte, niemals etwas Ungesetzliches getan zu haben. Seine kleine Splitterpartei »Europa-Demokraten« wurde in den Medien als Sammelbecken für Politiker bezeichnet, gegen die schon einmal wegen Zusammenarbeit mit der Mafia ermittelt wurde. Außerdem hatte De Magistris gegen Richter, Staatsanwälte, Unternehmer und Lokalpolitiker in Kalabrien ermittelt, die in Verbindung mit der ’Ndrangheta und versickerten EU-Fördergeldern stehen sollen. »Er hatte sich erkühnt, nicht nur gegen einige Freunde des Justizministers wegen Veruntreuung von EU-Geldern und der Verflechtung von Politik und ’Ndrangheta zu ermitteln, sondern auch gegen den Minister selbst und Ministerpräsident Romano Prodi.« 5
Bereits im September 2007 beantragte Justizminister Clemente Mastella aufgrund der Ermittlungen des Staatsanwalts aus Catanzaro beim Obersten Richterrat die »dringende« Versetzung von De Magistris. Dies habe jedoch nichts mit De Magistris’ Ermittlungen im Fall »Why not?« zu tun, betonte er. Trotzdem drohte er im November 2007 damit, die fragile Koalition in Rom aufzukündigen, sollten die Ermittlungen gegen ihn nicht eingestellt werden. In den Zeitungen wurde zwar sein Rücktritt gefordert. Aber der Minister konterte lapidar: »Wenn ich wegen dieser Ermittlungen zurücktreten sollte, dann müsste am nächsten Tag Ministerpräsident Romano Prodi zurücktreten. Denn gegen ihn laufen auch Ermittlungen.« Der italienische Richterrat vertagte die für Anfang Oktober 2007 geplante Entscheidung einer Versetzung des Staatsanwalts auf Dezember 2007. Unabhängig davon entzog ihm der Justizminister den Fall. Alle Dokumente seiner Ermittlungen wurden im LKW nach Rom geschafft. Anfang 2008 wurde er schließlich endgültig ausgeschaltet. Seinem Nachfolger wird nachgesagt, Verbindungen zur Mafia unterhalten zu haben. Er soll im Jahr 1989 während seiner Amtszeit als Richter in Syrakus Dokumente gefälscht und, nach Aussagen des Pentito Pandolfo, Verbindungen zur Cosa Nostra unterhalten haben. 6
Wie tief die Mafia in die hohen Ebenen der Politik eingedrungen ist, verdeutlicht auch das folgende Beispiel: Im Jahr 2007 wurde in Brüssel ein in jeder Beziehung kundiger Jurist aus Sizilien zum Oberaufseher des Europäischen Parlaments für den »Schutz der finanziellen Interessen der EU« ernannt. Der knapp 60-jährige Politiker Francesco Musotto, langjähriges Mitglied des Europäischen Parlaments und einst Präsident der Provinz Palermo, ist eine markante Erscheinung: kurze graue Haare, eine dünnrandige Brille und ein grauer Schnauzbart, ein Signore wie aus dem Bilderbuch. Wenn er spricht, klingt es wie gedämpfter Singsang, eine Stimme, die zum Einschlafen einlädt. Das Europäische Parlament nahm am 19. Februar 2008 seinen Bericht über den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft an. Und die Europäische Kommission begrüßte den Bericht als wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts
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