Bleiernes Schweigen
(Totò) Riina die bestimmende Figur in der Cosa Nostra. Doch Mitte der achtziger Jahre erlebte die Cosa Nostra mit den Maxi-Prozessen, die auf Grund der Aussage von Insidern wie Tommaso Buscetta, Salvatore Contorno sowie Antonino Calderone möglich wurden, einen herben Rückschlag. Die Cosa Nostra reagierte auf den Prozess gegen ihre Mitglieder mit einer Kriegserklärung. Sie liquidierte zunehmend Angehörige der italienischen Exekutive, der Politik oder Personen des öffentlichen Lebens, auch »prominente Leichen« genannt, die es wagten, sich ihrem Machtanspruch in den Weg zu stellen. Im Gegensatz zur offenen Konfrontation mit dem Staat in den achtziger Jahren und Anfang der neunziger Jahre lautete danach die Devise, innerhalb der Cosa Nostra, unsichtbar zu werden, als nicht mehr gefährlich, weitgehend entkräftet und entmachtet zu erscheinen.
Tatsache ist: Bis heute besitzt die Cosa Nostra eine durchstrukturierte Autorität (= den »Gegenstaat«) und sie verfügt immer noch über einen eigenen Apparat von Verhaltensvorschriften (= die »Ordnung«). Trotz des hohen Fahndungsdrucks sind die Familien der Cosa Nostra deshalb noch weitgehend intakt und funktionsfähig beziehungsweise reorganisieren sich nach Verhaftungen sehr schnell oder bilden neue Strukturen.
In vielen Berichten und Analysen, sowohl der deutschen Sicherheitsbehörden als auch der Medien, wird ein wichtiger Bereich des Netzwerkes zwischen Cosa Nostra und staatlichen Entscheidungsträgern weitgehend ausgeblendet: die direkte politische Einflussnahme durch die »Massoneria deviata« (abweichende Freimaurerlogen), auf die auch die beiden Autoren eingehen. Tatsache ist, und die italienischen Staatsanwälte weisen beharrlich darauf hin, dass bestimmte Logen eng mit der Mafia kooperieren. Sie sind in Italien ein zentrales Bindeglied zwischen Mafia und bürgerlicher Gesellschaft. Berühmt-berüchtigt ist die Loge Propaganda Due (P2), die in den siebziger Jahren und Anfang der achtziger Jahre ihre Blütezeit hatte. Ihr Ziel war vordergründig der Kampf gegen die PCI, die Kommunistische Partei Italiens. Unterstützt wurde sie dabei von westlichen Geheimdiensten, insbesondere dem amerikanischen CIA. In der Loge P2 (deren Aktivitäten bis heute nicht vollständig aufgeklärt sind) waren hohe Politiker, einflussreiche Banker, militante Rechtsextremisten, Angehörige von Geheimdiensten, Unternehmer und Mitglieder der Cosa Nostra organisiert. Freien Zugriff hatten die Logenbrüder insbesondere auf die Archive der staatlichen Geheimdienste, die eng mit ihnen zusammenarbeiteten. Dadurch war es relativ einfach, Politiker zu korrumpieren und zu erpressen. 1982 wurde die P2 verboten.
Diese Doppelstrategie war und ist erfolgreich: einerseits die Infiltration des Staatsapparates von außen durch Finanzmittel und/oder Gewalt, andererseits der direkte Kontakt mit den Repräsentanten des politischen und administrativen Systems. Erst im September 1998 wurde in Cannes Licio Gelli, seit Anfang der siebziger Jahre eine Führungsperson innerhalb der P2, verhaftet und an die italienischen Behörden ausgeliefert. Er wurde beschuldigt, im Jahr 1990 zusammen mit Salvatore Riina einen Umsturzplan erstellt zu haben. Das Ziel war es, ein unabhängiges, von Italien abgespaltenes Sizilien zu erschaffen. An diesen Plänen waren offenbar auch Mitglieder des Geheimdienstes und der italienischen Rechtsextremisten beteiligt. Die Bombenanschläge von Mailand, Florenz und Rom im Jahr 1993 sollen ein Teil dieses Umsturzplanes gewesen sein. Oder der Fall des im März 1986 im Gefängnis vergifteten Michele Sindona. Er wusch Gelder der Cosa Nostra über die Vatikanbank. Erzbischof Paul Marcinkus von der Vatikanbank war dabei einer seiner Komplizen.
Da bis heute nicht alles über die Hintergründe der P2 aufgeklärt ist, gibt es noch viele Fragen. Informationen über diese bis heute andauernde Zusammenarbeit zwischen bestimmten Freimaurerlogen und der Cosa Nostra wie der ’Ndrangheta lieferte den italienischen Staatsanwälten Gaetano Costa, ein wichtiger pentito : »Viele Persönlichkeiten, Politiker, Unternehmer, Richter, Banker und Polizeibeamte waren in den Freimaurerlogen. Daher hatten wir ein großes Interesse, eine Beziehung zu ihnen aufzubauen.« 1
Die Karten sind gemischt – Veränderungen, trotz des erzwungenen Rücktritts von Ministerpräsident Silvio Berlusconi, kaum zu erwarten. Deshalb, so das resignierende Fazit von Salvatore Borsellino, ist »heute kein Sprengstoff
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