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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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es jedesmal voll, auch mein Keller. Sie sehen ja die Spuren. Nach der Wende prozessierte ich und bekam recht. Ich durfte einen Damm bauen. Genauso hoch wie die andere Uferseite. Aber meine Gegner ließen nicht locker. Es saßen ja in den Gremien immer noch die alten Bonzen, ihre rote Parteifarbe hatten sie über Nacht schwarz übermalt. Wissen Sie, was sie machten? Sie ließen diese Betonröhre als Abfluß unter der Straße verlegen mit diesem jämmerlichen Gitter davor. Ein viel zu kleiner Abfluß. Bei jedem Hochwasser tritt der Fluß nun nach beiden Seiten übers Ufer. Die Folge: mein Garten läuft wieder voll. Ich muß wieder klagen, und das wird teuer. Daher bitte ich Sie, netterweise diese Röhre zu fotografieren, so daß man das Gitter sieht und auch den ganzen Dreck, der angeschwemmt wird. Ich brauche die Fotos für meinen Prozeß, und ich habe leider keinen Apparat. Und hier im Ort gibt es niemand, der mir hilft, ohne eine Gegenleistung zu verlangen.«
    Ich ging sofort an die Arbeit und verknipste einen ganzen Film mit Motiven wie »rostender Kühlschrank an Eiche« oder »Klobrille in Johannisbeerstrauch«. Er stand zufrieden daneben. »Daß Sie mein Mann sind, hat mir Ihre Mütze verraten. So etwas liebevoll von Hand Gemachtes bekommt man hier auf keinem Kopf zu sehen. Ich kann Ihnen leider kein Geld geben, aber ich möchte Sie wenigstens zum Essen einladen.«
    Während wir durch den Garten auf das Haus zugingen, sagte er: »Ich muß Sie auf die Tatsache vorbereiten, daß meine Frau nicht gesund ist. Sie kann fast nichts mehr sehen und spricht auch sehr schwer. Gehirnschlag als Folge von zuviel Arbeit, zuwenig Anerkennung, wissen Sie. Aber Sie brauchen keine Rücksicht zu nehmen.«
    Sie war hager wie der Tod. Die Hand, die sie mir reichte, war schlaff und eiskalt. Ich war versucht, ihr einen Handkuß zu geben. Etwas Feines, Vornehmes ging von ihr aus. Schwarze Kleidung, weiße, dicht gekräuselte Haare, ein Mund, dessen schiefes Lächeln immer noch anziehend war.
    Überall lagen oder saßen Katzen, ich schätzte, mindestens zehn. Auf den Fensterbänken, unter den Stühlen, auf dem Tisch hockten sie, Katzen in allen Schattierungen, schwarze, gefleckte, getigerte.
    »Wir haben sie aufgenommen, weil Leute sie nicht über die Grenze mitnehmen konnten. Alles Hinterbliebene von Republikflüchtlingen«, sagte der Hausherr. Das kam mir bekannt vor. Topfpflanzen und Katzen.
    Eine der Katzen lag auf dem Tisch. Sie schien blind zu sein. Ihre Augen sahen aus wie trübe Mondsteine.
    »Machst du das Essen fertig?« sagte er.
    Seine Frau erhob sich, griff nach einem Stock und ging langsam aus dem Raum.
    »Sie war eine Schönheit, glauben Sie mir. Ich habe mich auf den ersten Blick in sie verliebt. Ich war damals Geologe, wissen Sie, hatte eine glänzende Zukunft vor mir. Bergbau, Wismutgruben, man hat mich später aus politischen Gründen abgesetzt. Ich war nicht einverstanden mit der Art und Weise, wie sie hier die Erdkruste verschandelt haben. Möchten Sie einen Kognak vorweg?«
    Ich nickte, war froh über das Angebot, denn ich fühlte mich müde und schwach. Er holte große Kognakschwenker aus einer Anrichte und eine Flasche DDR-Weinbrand. Als hätte er seit Jahren einen Zuhörer entbehrt, redete er unaufhörlich.
    »Wissen Sie, jeder Mensch ist doppelt, er ist gleichzeitig ein Mensch zuviel und ein Mensch zuwenig. Beide versuchen, sich zu unterhalten, aber es gelingt nicht. Der ›Mensch zuviel‹ sagt, das finde ich schön, das liebe ich, und seine andere Hälfte, der ›Mensch zuwenig‹, sagt, das ist unglaublich, du hast einen schlechten Geschmack, so etwas Häßliches schön zu finden, und so geht es ewig weiter, ein Dialog, der keiner ist, weil er aus zwei nicht zueinander passenden Hälften eines Monologes besteht.«
    Er schenkte nach und sah mich an aus Augen, die mir wenig interessiert zu sein schienen an dem, was sie sahen.
    »Wissen Sie, wir Wissenschaftler suchen immer nach allgemeinen Erklärungsprinzipien. Die Theologen reden von Gott, die Naturwissenschaftler von Atomen, die Soziologen von Gesellschaft, die Historiker von Geschichte. Wir Geologen ziehen einen anderen Begriff vor als Standpunkt, von dem aus sich alles betrachten läßt: den der Erosion. Man kann die Geschichte unserer Planeten einschließlich der Geschichte des Menschen vollständig mit Hilfe des Phänomens der Bodenbildung und Bodenzerstörung beschreiben.«
    Er schloß die Augen und gurgelte genüßlich mit dem Getränk. Ich schien

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