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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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einen Lachkrampf und wischte sich dabei imaginäre Tränen aus den Augenwinkeln, dieser miese kleine Arschkriecher.
    2
    Der Anzug kam früh am Samstagmorgen. Jude war schon auf und mit den Hunden draußen.
    Als der UPS-Lieferwagen knirschend zum Stehen kam, machte Angus einen Satz vorwärts und riss Jude die Leine aus der Hand. Er sprang an der Seite des Lieferwagens hoch, Speichelfetzen flogen herum, die Pfoten kratzten wie wild an der Fahrertür. Der Fahrer blieb hinter dem Steuer sitzen und schaute gelassen – mit dem konzentrierten Gesichtsausdruck eines Forschers, der unter dem Mikroskop einen neuen Ebola-Erreger begutachtet auf den Hund hinunter. Jude hob die Leine vom Boden auf und riss daran. Etwas zu heftig. Angus ließ sich auf die Seite fallen und streckte alle viere von sich, sprang aber im nächsten Moment wieder auf und fletschte die Zähne. Inzwischen spielte auch Bon verrückt und zerrte am Ende ihrer Leine, die Jude in der anderen Hand hielt. Ihr Gekläffe war so schrill, dass Jude der Kopf wehtat.
    Da ihm der Weg zur Scheune, wo sich der Zwinger befand, zu weit war, zog Jude die beiden an ihren Leinen reißenden Hunde über den Hof auf die Vorderveranda, schob sie ins Haus und schlug die Tür zu. In der nächsten Sekunde warfen sie sich gegen die Tür und fingen an, wie hysterisch zu bellen. Die Tür bebte unter den Attacken. Scheißviecher.
    Jude ging langsam zurück in die Einfahrt und erreichte den UPS-Wagen, als gerade scheppernd die Hecktür aufschwang. Der Ausfahrer stand im Laderaum. Er klemmte sich eine lange flache Schachtel unter den Arm und sprang aus dem Wagen.
    »Ozzy Osbourne hat 'n paar Spitze«, sagte der UPS-Mann. »Hab ich im Fernsehen gesehen. Niedliche kleine Hundchen, wie Katzen. Schon mal dran gedacht, sich so was anzuschaffen?«
    Jude nahm ihm wortlos die Schachtel ab und ging ins Haus.
    Er trug die Schachtel durchs ganze Haus bis in die Küche, legte sie dort auf die Theke und schenkte sich Kaffee ein. Jude war Frühaufsteher, von Natur und aus Gewohnheit. Auf Tournee oder bei Plattenaufnahmen war es normal gewesen, morgens um fünf ins Bett zu fallen und den Tag fast völlig zu verschlafen. Trotzdem hatte er sich nie richtig daran gewöhnt. Auf Tournee war er nachmittags um vier übellaunig und mit dickem Kopf aufgewacht und hatte sich darüber gewundert, wo die Zeit geblieben war. Die Leute um ihn herum waren ihm alle wie clevere Hochstapler erschienen, wie gefühllose Außerirdische, die Gummimasken mit den Gesichtern seiner Freunde trugen. Er hatte immer reichlich Alkohol gebraucht, bis sie wieder wie sie selbst aussahen.
    Allerdings waren seit seiner letzten Tournee schon drei Jahre vergangen. Und wenn er zu Hause war, hatte er fast nie Lust auf Alkohol und war an den meisten Tagen schon um neun reif fürs Bett. Mit vierundfünfzig war er in den Rhythmus zurückgefallen, der seine Tage bestimmt hatte, als er noch Justin Cowzynski und ein kleiner Junge auf der Schweinefarm seines Vaters gewesen war. Der schwachsinnige Hurensohn hatte ihn an den Haaren aus dem Bett gezerrt, wenn er nicht bei Sonnenaufgang auf der Matte stand. Seine Kindheit hatte aus Schlamm, kläffenden Hunden, Stacheldraht, baufälligen Ställen und quiekenden Schweinen mit schuppiger Haut und platten, eingedrückten Schnauzen bestanden. Seine Mutter, die fast den ganzen Tag mit schlaffem Gesicht am Küchentisch saß und wie einetumbe Hirnamputierte vor sich hin starrte, und sein Vater, der mit seinen Fäusten und zornigem Gelächter über ihre paar Hektar Schweinedreck und Verfall herrschte, waren fast sein einziger menschlicher Kontakt gewesen.
    Jude war also schon seit mehreren Stunden auf, hatte aber noch nicht gefrühstückt und briet sich gerade etwas Speck, als Georgia in die Küche schlurfte. Sie trug nur einen schwarzen Slip und verschränkte die Arme vor ihren kleinen weißen Brüsten mit den gepiercten Nippeln. Verstrubbeltes schwarzes Haar umrahmte ihren Kopf. Georgia war nicht ihr richtiger Name. Auch nicht Morphine, obwohl sie unter diesem Namen zwei Jahre als Stripperin gearbeitet hatte. Sie hieß Marybeth Kimball, ein Name, so schlicht und einfach, dass sie peinlich berührt gelacht hatte, als sie ihn das erste Mal erwähnte.
    Jude hatte eine ganze Kollektion an Goth-Girls hinter sich, ehemalige Stripperinnen oder Wahrsagerinnen oder Stripperinnen und Wahrsagerinnen, allesamt hübsche Mädchen, die auf Ankh-Kreuze und schwarzen Nagellack standen und die er immer nach ihren

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