158 - Die Seele aus dem Zwischenreich
Der gute Sterling Dru befand sich in einem Lager, das scharf bewacht wurde. Kein Mensch besitzt zwei Körper. Man hatte ihm hier einen geliehen, damit seine Seele wieder in einer Hülle war und damit man ihn schlagen und peinigen konnte.
Er war nicht die einzige gute Seele, die hier gefangengehalten wurde. Es gab bereits viele - Männer und Frauen -, und es wurden ständig mehr. Man sorgte drüben, auf der Erde, für Nachschub.
Das Lager bestand aus mehreren Hütten. Es war mit magisch geladenem Stacheldraht gesichert, und auf den hohen Wachttürmen, die in den bleigrauen, tristen Himmel stachen, standen Männer mit Armbrüsten, die mit Argusaugen aufpaßten, daß kein Gefangener das Höllencamp verließ.
Immer wieder versuchten sie zu fliehen, einzeln oder in Gruppen, doch bisher hatte es noch keiner geschafft zu entkommen.
Man hatte gefährliche Wölfe, die man hinter den Fliehenden herhetzte. Bisher hatten diese reißenden Jäger noch jeden erwischt und entweder gestellt oder gleich getötet.
Es gab einen »Alten« im Lager: Ben Rudnik. Er war noch gar nicht so alt, aber da er am längsten im Camp lebte, wandten sich alle an ihn, wenn sie Rat, Hilfe oder Trost brauchten.
Sterling Dru begab sich zu ihm. Rudnik lag auf seinem primitiven Eisenbett, und Dru setzte sich zu ihm. Rudnik hatte schwarzes Haar, das an den Schläfen grau war, in seinen dunklen Augen glänzten Güte und Weisheit. Auch ihn gab es auf der Erde noch einmal, und dort war er böse und gemein.
»Ich muß mit dir reden«, sagte Sterling Dru gepreßt.
Ben Rudnik nickte. »Ich höre, mein Freund.«
Dru betrachtete seine zitternden Finger. »Es macht mich krank zu wissen, daß mein böses Ich daheim all das tut, was ich immer verabscheut habe.«
»Das ist ein Teil der Folter, die man sich für uns ausgedacht hat«, entgegnete Rudnik.
»Ich muß zurück.«
»Das geht nicht.«
»Es muß einen Weg geben, die getrennten Seelenhälften wieder zu vereinen, damit das Gute das Böse unterdrückt, wie es früher geschah.«
»Sterling«, sagte Ben Rudnik und legte dem Leidgenossen die Hand auf den Arm, »du weißt, daß es keinen Weg zurück gibt. Es gibt nicht einmal einen Weg aus diesem Lager.«
Dru schüttelte wütend den Kopf. »Ich kann nicht länger bleiben. Ich ertrage es nicht mehr, Ben. Ich muß raus. Irgendwie wird es gehen.«
»Sei vernünftig«, redete Rudnik auf Dru ein. »Du weißt, was mit denen geschah, die einen Fluchtversuch unternahmen.«
»Man hat sie umgebracht«, sagte Dru. »Aber auf uns alle wartet der Tod, Ben. Ständig holen sie einen von uns fort. Vielleicht bin ich morgen sowieso an der Reihe, dann möchte ich wenigstens versucht haben, meinen Peinigern zu entkommen. Sie haben mich mit ihren Peitschen geschlagen, bis ich nicht mehr stehen konnte. Grundlos, nur, um mich zu quälen, damit ich weiß, daß ich mich im Vorhof der Hölle befinde. Ben, ich habe nicht die Kraft, das noch länger durchzustehen. Ich will, nicht warten, bis sie mich holen. Sterben muß ich so und so. Da ist mir ein Ende mit Schrecken lieber als ein Schrecken ohne Ende.«
Rudnik nickte ernst. »Ich kann dich sehr gut verstehen, Sterling, aber vielleicht lohnt es sich zu warten.«
»Worauf denn? Bis jemand kommt, der uns befreit? Vergiß nicht, wo wir sind, Ben! Hier haben wir keine Hilfe zu erwarten. Entweder hilfst du dir selbst, oder es hilft dir keiner.«
Ben Rudnik setzte sich auf. »Hast du dir überlegt, wie es weitergehen soll, wenn du es entgegen allen Erwartungen schaffst, mit heiler Haut davonzukommen? Dort draußen bist du nicht in Sicherheit, und du kennst den Weg zurück nicht. Du wirst einer der vielen Gefahren zum Opfer fallen, die überall lauern. Der Weg nach Hause ist für uns alle ein Traum, der sich nie erfüllen wird. Es müßte schon ein Wunder geschehen.«
»Und darauf soll ich warten?« fragte Sterling Dru mit belegter Stimme. »Nein, ich breche aus und versuche mich durchzuschlagen.«
»Ich wünsche dir viel Glück«, sagte Ben Rudnik traurig. Er wußte, daß er zu einem Todeskandidaten sprach.
***
Der böse Sterling Dru saß in einer Bar am Trafalgar Square und war sich mit dem blonden Mädchen hinter dem Tresen einig. In einer halben Stunde hatte sie Dienstschluß, dann würde er sie mit zu sich nach Hause nehmen und ihr »seine Schallplattensammlung zeigen«. Lauren Pleasence wußte, daß es dabei nicht bleiben würde. Sie wäre mächtig enttäuscht gewesen, wenn sich Sterling Dru wirklich nur auf die Platten
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