Blut und Sünde
die Temperatur.
Ausgezogen hatte sie sich bereits. Das Handtuch lag über ihrer Kleidung auf dem Hocker, und dann endlich konnten ihr die warmen Strahlen das Frösteln und die Kälte aus dem Körper treiben.
Florence Turner genoss die Dusche. Ihre Gedanken wanderten dabei weit weg und hinein in die Zukunft. Sie dachte an das Stück, das sie und ihre Kollegin morgen aufführen würden. Ein gruseliges Drama und sogar mit einem Schuss Horror versehen. Die düstere Musik, die Szenerie, die Beleuchtung, das alles kam zusammen und veränderte die Bühne zu einer Filmleinwand.
Später trocknete sie sich ab und dachte auch jetzt über ihre Rolle nach. Jetzt gefiel es ihr nicht mehr, dass sie eine Tote spielen sollte, die wieder zum Leben erweckt wurde. Normalerweise hätte es ihr nichts ausgemacht; sie hatte sich sogar auf die Rolle gefreut. Nun sah es anders aus, und sie spürte auch, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte.
Angst? Nein, im Prinzip brauchte sie keine Angst zu haben. Hier lief alles glatt, wie es immer gewesen war. Sie hatten lange genug geprobt. Da würde es keinen Ärger geben.
Florence hatte keine Lust mehr, sich normal anzuziehen. Sie entschied sich für einen weißen und flauschigen Morgenmantel, den sie in Höhe der Taille verknotete. Dann ging sie zurück ins Wohnzimmer und schob die Heizung vor sich her.
Draußen war es jetzt völlig finster geworden. Die Dunkelheit drückte gegen die Scheiben wie ein schwarzes riesiges Tier, das bewegungslos in der Luft stand. Am Himmel zeigten sich keine Gestirne, denn die dicke Wolkenschicht verdeckte alles.
Florence erinnerte sich daran, dass sie eine Flasche Rotwein in der Küche stehen hatte. Sie entkorkte die Flasche und nahm sie zusammen mit dem Glas mit in das Wohn-Schlafzimmer. Es war ein beruhigendes Gefühl für sie, als sie den Wein in das Glas gluckern hörte. Der Wein war etwas zu kühl, aber das machte ihr nichts aus. Er würde im Laufe der Zeit eine bessere Temperatur erhalten, dann konnte sie ihn richtig genießen.
Von einer Verwandten hatte sie einen Sessel geschenkt bekommen, dessen Rückseite sie zurückstellen konnte. Das lief in drei Stufen ab. Die erste Stufe war für Florence ideal. Da lag sie nicht, und da saß sie auch noch nicht.
So konnte sie trinken, in die Glotze schauen oder auch lesen. Die Stehlampe stand in der Nähe. Sie selbst hatte sie aus zwei verschiedenen Teilen zusammengebastelt. Das Licht war weich, weil es durch den gelben Schirm gedämpft wurde. Es floss auf sie und fing sich funkelnd auf der Oberfläche des Rotweins.
Florence schaute sich die Reflexe an, hob das Glas, nahm die ersten beiden Schlucke und streckte dabei die Beine aus. Eigentlich hätte sie sich wohl fühlen müssen, wie an vielen anderen Abenden zuvor. Heute traf das nicht zu, Auch der Wein schaffte es nicht, ihre Nervosität zu unterdrücken. Sie blieb unruhig. Sie aß auch keinen Käse zum Wein, wie sie es sonst immer getan hatte. An diesem Abend war so vieles anders, obwohl sich äußerlich nichts verändert hatte.
Die Heizung gab genügend Wärme ab, um sie nicht frieren zu lassen. Aber die Gänsehaut wollte nicht weichen. Florence Turner stellte fest, dass die Kälte in ihr steckte und sich immer wieder hoch drängte. Dieser Abend war nicht gut. Er würde auch keinen weiteren guten Verlauf haben. Etwas stimmte nicht. Es war die Ahnung, dass ein schlimmes Ereignis bevorstand.
Sie hätte jetzt einige Klamotten packen und die Wohnung verlassen sollen. Darauf verzichtete sie. Es war, als hielte sie jemand im Sessel fest. Florence war nicht einmal in der Lage, nach der neben dem Sessel auf dem Boden liegenden Fernbedienung zu greifen, um die Kiste anzustellen. So blieb sie in ihrer Haltung liegen, den Blick auf die graue Mattscheibe der Glotze gerichtet und hin und wieder Wein aus der Flasche nachschenkend.
Zeit verstrich. Florence merkte es nicht. Sie kam sich in ihrer eigenen Umgebung wie gefesselt vor, und es war ihr, als wäre sie von etwas Fremdem umgeben, das sich unsichtbar in den einzelnen Zimmern verteilt hatte.
Vor kurzem hatte ihr ein Freund mal Teile aus der Offenbarung des Johannes vorgelesen. Schreckliche Dinge, die geschehen würden, bevor die Welt verging. Daran wurde Florence in diesen Augenblicken erinnert, und gerade in ihrer Lage konnte sie sich vorstellen, dass so etwas wahr werden würde.
Sie füllte das Glas noch einmal. Die Hälfte der Flasche war bereits leer, und Florence spürte schon die Wirkung des Rotweins. Sie
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