Blutige Seilfahrt im Warndt
Armen.«
»Was sagt dir das?«
»Dass ihn irgendjemand an diesem Seil fixiert hat, als er bewegungsunfähig war.«
»Das schließt Selbstmord also aus?«
»Ja. Für mich deutet das, was wir bisher wissen, auf Mord hin.«
Je näher Schnur den Menschen kam, umso lauter hörte er das Geschrei. Es klang so, als wüssten die Bergleute schon alles: wer der Tote auf dem Förderturm war und wie er dorthin gelangen konnte. Erst als er sich mit in die Hüften gestemmten Fäusten dazustellte, verstummten alle und starrten ihn an.
»Mein Name ist Jürgen Schnur, ich bin Kriminalhauptkommissar und leite die Ermittlungen in diesem Fall«, sagte er zur Begrüßung. »Wer glaubt, etwas Hilfreiches beitragen zu können, soll sich an mich wenden.«
»Das ist kein Kriminalfall, sondern ein Unfall«, erklärte ein großer kräftiger Mann, dessen Gesicht rot schimmerte. »Und außerdem ist dafür das Bergamt zuständig und nicht die Kriminalpolizei.«
»Und wer sind Sie?«
»Georg Remmark – genannt Schorsch.«
»Gut! Und welchen Beruf üben Sie aus?«
Verdutzt starrte Remmark auf Schnur, bevor er antwortete: »Ich bin Steiger, hier in der Grube. Schon seit zehn Jahren.«
»Schön! Als Steiger in der Grube können Sie wohl schwerlich ein Verbrechen von einem Unfall unterscheiden. Überlassen die die Polizeiarbeit also der Polizei.«
»Einverstanden. Dann gehen Sie auch dorthin, wo Sie gebraucht werden. Hier jedenfalls nicht.«
»Die Entscheidung liegt sicher nicht bei Ihnen. Also beantworten Sie einfach meine Fragen, umso schneller sind wir hier fertig«, beharrte Schnur, wobei er seinen Ärger über diesen überheblichen Mann unterdrückte. »Was bringt Sie darauf, dass hier ein Unfall vorliegt? Nach meinen Erkenntnissen ist es unmöglich, einfach so an einem Stahlseil festzuhängen, ohne dass fremde Hilfe dazu nötig wäre.«
»Pitt ging es den ganzen Morgen schon schlecht«, erklärte Remmark hastig.
»Wer ist Pitt?«
»Peter Dempler. Der Mann, der verunglückt ist.«
»Wie sind Sie so schnell auf ihn gekommen?«
»Er ist der Einzige, der fehlt. Und er war es auch, der mir heute Morgen schon Sorgen gemacht hat, weil es ihm nicht gut ging«, erklärte Remmark nun sachlicher. »Er hat sich alleine von der sechsten Sohle auf den Weg zum Schacht gemacht und wollte ausfahren. Mit dem Förderband über die fünfte Sohle zum Warndtschacht zu gelangen war zu der Zeit nicht möglich, weil die Bänder stillstanden. Zwischen den Schichten hält sich normalerweise kein Anschläger auf der sechsten Sohle am Schacht auf. Vielleicht hat er versucht, über die Fahrten hoch zur fünften Sohle zu gelangen …«
»Fahrten?«
»… Leiter soll das heißen«, murrte Remmark. »Jedenfalls würde ich ihm das zutrauen. Möglich, dass er abgestürzt ist und versucht hat, sich am Seil festzuhalten. Dabei hat er das Bewusstsein verloren.«
»Verlieren Bergleute häufiger das Bewusstsein während der Arbeit?«
»Nein! Was soll diese Frage?«
»Sie stellen hier die abenteuerliche Theorie vom bewusstlosen Bergmann auf«, erwiderte Schnur. »Das klingt sehr verwegen.«
»Pitt war in letzter Zeit häufiger krank«, fuhr Remmark fort. »Aber er wollte keinen gelben Schein machen, weil das mehr Arbeit für die Kameraden bedeutet.«
»Ich werde mich von den Fakten überzeugen lassen, die die Spurensicherung und die Gerichtsmedizin herausfinden werden«, stellte Schnur klar. »Die Annahme, dass der Kollege krank war, reicht nicht, um dort oben zermalmt zwischen Stahlseil und Seilscheibe zu landen.«
Plötzlich entstand Unruhe in der Menschenmenge. Alle starrten in eine Richtung. Neugierig trat Schnur zur Seite, um sehen zu können, was diese Männer so aufbrachte.
Ihre roten Haare leuchteten unwirklich an diesem grauen Ort. Mit ihrem eleganten Gang in den hohen Schuhen, in denen sie sich trotz des unwegsamen Geländes mit einer bemerkenswerten Sicherheit bewegte, zog sie die Blicke der Bergmänner an. Mit einem Lächeln auf den Lippen, das zeigte, dass sie solche Blicke gewohnt war, stellte sie sich vor die vielen Menschen und sagte: »Mein Name ist Ann-Kathrin Reichert, ich bin die zuständige Staatsanwältin.«
»Warum kommt nicht das Bergamt?«, fragte Remmark.
»Weil die Kollegen vom Ministerium für Wirtschaft und Wissenschaft mich angerufen haben, um dem Bergamt Amtshilfe zu leisten«, stellte die Staatsanwältin klar.
Damit musste sich Remmark zufriedengeben.
»Gut, dass wir das geklärt haben. Ich bin hier, um mir zusammen mit
Weitere Kostenlose Bücher