1198 - Varunas Hexenreich
Gerade bei ihr, wo sie doch so anders war als die meisten Menschen und mehr wusste.
Sie drehte sich so, dass sie einen Blick auf die Uhr in der Nähe werfen konnte. Mitternacht war bereits vorbei, aber die erste Morgenstunde noch nicht ganz um.
Eine für viele Menschen schlimme Zeit. Nicht für Varuna. Sie sah sie als geheimnisvoll an. Für sie war diese Zeit zwischen Mitternacht und ein Uhr eine Spanne, in der sich oft andere Welten öffneten und ihre Grüße zu den Menschen schickten. Nicht jeder erfuhr das, gewisse Personen jedoch, die sensibel genug waren und die Ströme mitbekamen.
Langsam ließ die Frau ihre Hände sinken. Die Schmerzen waren nicht mehr so stark.
Warten, nicht mehr schlafen. Nachdenken. Zu einem Ergebnis kommen. Die Stiche waren nicht ohne Grund durch ihren Kopf gerast. Da war manipuliert worden. Jemand wollte etwas von ihr und hatte den Kontakt gesucht.
Noch etwas war anders geworden. Zuerst glaubte die Frau mit den dunklen Haaren an eine Täuschung. Doch als gewisse Dinge nicht aufhörten, wurde sie schon misstrauisch. Zu den Dingen zählte sie die Stimme in ihrem Kopf. Sie war da. Sie stammte von einer fremden Person, die den Kontakt mit ihr gesucht und auch gefunden hatte.
Im Zimmer würde sie die Person nicht finden. Auch wenn sie das Licht einschaltete, um die Dunkelheit zu vertreiben. Diese Person hielt sich woanders auf. Sie musste nicht mal in der Nähe sein.
Weit weg, verborgen in der Vergangenheit.
Die Stimme sprach, aber die Worte waren nicht zu verstehen. Nur ein geheimnisvolles Flüstern.
Varuna war nicht in der Lage, der fremden Person einen Befehl zu geben, um lauter und deutlicher zu sprechen.
Sie atmete tief durch.
Etwas störte sie.
Es hatte nichts mit irgendwelchen Flüsterstimmen zu tun. Ihr Nachthemd klebte an verschiedenen Stellen am Körper.
Wasser war es nicht. Da hätte sich der Stoff anders angefühlt. Weniger klebrig. Es musste eine andere Flüssigkeit sein, die ziemlich schmierte.
Sie fuhr mit beiden Händen unter das Laken und tastete nach den bestimmten Stellen. Auch die Hände fühlten sich feucht und jetzt leicht klebrig an.
Varuna war keine ängstliche Frau. Sie gehörte zu den Menschen, die bestimmten Dingen in der Welt sehr offen gegenüberstanden. Aber was ihr jetzt widerfahren war, bereitete ihr schon Probleme, die im Dunkeln nicht zu lösen waren.
Deshalb tastete sie nach dem Schalter der Lampe.
Ein kurzer Druck reichte aus, und die Umgebung in ihrer Nähe wurde hell. Der erste Blick auf ihre Finger.
Varuna erstarrte.
Sie waren rot.
Rot vom Blut!
Varuna war nicht mehr starr. Mit einer heftigen Bewegung schleuderte sie die Decke zur Seite, blieb sitzen und starrte auf ihr helles Nachthemd.
Es war nicht mehr überall hell.
An verschiedenen Stellen malten sich dicke und feuchte Blutflecken ab!
***
Varuna hatte sich hervorragend in der Gewalt. Sie blieb im Bett sitzen, ohne etwas zu unternehmen.
Sie schrie nicht. Sie weinte nicht. Sie sprach auch nicht und drehte nicht durch. Stattdessen war sie zu einer Statue geworden, deren Augen in eine bestimmte Richtung blickten, aber zugleich aussahen, als würden sie ins Leere schauen, weil sie in diesen Momenten unfähig war, die gesamte Wahrheit zu verarbeiten. Etwas Unmögliches war möglich geworden. Das wusste sie genau. Sie konnte einfach keine Erklärung finden, noch nicht.
Das Nachthemd war an verschiedenen Stellen mit Blut getränkt. Ihr Blut war es nicht. Es musste das einer fremden Person sein. Ihr eigener Körper wies keinerlei Verletzungen auf, und es waren auch keine Schmerzen zu spüren.
An den Fingern klebte ebenfalls Blut. Sie wischte es am Laken ab, während ihre Gedanken schon wanderten. Da es im Zimmer sehr still war, gelang es ihr auch, sich zu konzentrieren, und sie versuchte, sich an die vergangenen Stunden zu erinnern.
Da war nichts gewesen. Oder doch? Nein, das konnte nicht sein. Sie hatte geschlafen, nachdem sie einen Besuch hier in London hinter sich gehabt hatte. Er war erfolglos gewesen. Die Person, mit der sie Kontakt hatte aufnehmen wollen, lebte nicht mehr, was auch ein Schock gewesen war.
Sie war dann wieder in ihre kleine Wohnung gefahren, hatte nachgedacht und sich vorgestellt, dass ihr das Schicksal durch den Tod der anderen Person einen neuen Weg gewiesen hatte.
Irgendwann war sie ins Bett gegangen. Ja, daran erinnerte sich Varuna. Aber zuvor war noch etwas passiert. Oder nachher? Ihr fehlte der Zeitbegriff. Einige Stunden in ihrem Leben waren einfach
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