PR2616-Countdown für Sol
Prolog
Benidette Chauro starrte auf das Lichtermeer von Merkur-Alpha hinab. Noch veränderte sich nichts, aber nach einer Weile wurden die Lichter auf dem Holoschirm kleiner, und das Meer schrumpfte zu einem See. Dahinter kamen die Trümmer der ursprünglichen Wandleranlagen in Sicht, überzogen vom diffusen Schein der polaren Zwielichtzone – ein künstlicher Kraterwall jenseits der Forschungsanlage.
Die CUCULA PAMPO war unterwegs. Nichts vibrierte, es gab keinen Ruck beim Abheben, kein Schwanken. Die Andruckneutralisatoren und Gravoprojektoren konservierten der Besatzung jenen Zustand, als stünden sie auf Terras Oberfläche. Es war die Standardkonfiguration an Bord von LFT-Raumschiffen.
»Tschüss, Merkur!«, murmelte Benidette leise.
Es ging heimwärts, weg von der Sonne, die zu einer tödlichen Bedrohung für die Menschheit wurde.
Die Orterin ließ viele Freunde zurück, aber sie nahm schöne Erinnerungen mit. Und die Hoffnung, dass sie die Männer und Frauen aus Merkur-Alpha bald wiedersehen würde. In Bunkern auf Venus oder Terra oder weiter draußen auf dem Mars, wo es noch schneller kalt werden würde, wenn die Sonne erlosch.
Die Rede des Residenten – Reginald Bull – klang ihr noch im Ohr, ein Appell an eine Menschheit in höchster Gefahr. Fünfeinhalb Stunden war das inzwischen her. Fremde hatten das Solsystem entführt und sich in der Sonne eingenistet. Sie nannten sich Spenta oder Sonnenhäusler. Sie wollten den wärmenden Stern zum Erlöschen bringen, und gleichzeitig entführten sie Kinder und Jugendliche. Kinder waren die Zukunft eines Volkes, ohne Kinder würde es keine Menschheit geben.
Unsere Kinder; das Licht unserer Sonne. Wir holen uns alles zurück!, wiederholte Benidette Chauro in Gedanken Bullys abschließende Worte.
Einmal mehr stand das Solsystem im Zentrum eines Übergriffs fremder Intelligenzen. Was hatte die Menschheit in ihrer Urheimat nicht alles erleiden müssen? Wie oft hatten sie gewünscht, all das würde einmal enden, aber doch nicht so!
Benidette ging die Ortungsanzeigen durch. »Keine Auffälligkeiten«, sagte sie in Richtung des erhöht angebrachten Kommandantensessels. »Nur LFT-Echos!«
Peer Baufenedias döste wie üblich in seinem Sessel, die Augen halb geschlossen. Der Kommandant reagierte nicht auf ihre Meldung. Vor ihm in der Holokugel redete und gestikulierte Padrer Horvat Domenech in seinem jüngsten Vortrag.
Benidette hörte mit halbem Ohr hin, während sie weiter unverwandt auf die Anzeigen des Ortungsschirms blickte. Der Wissenschaftler – einer der besten Kosmologen und Kosmogenetiker der Westside – sprach von Körperwesen, Entitäten, höheren Existenzebenen wie zum Beispiel Materiequellen, die alle in das System der Kosmonukleotide eingebettet waren. Die Funktionsmechanismen der Schöpfung würden sich einem menschlichen Gehirn nie erschließen. Aber es gab Indizien, an denen man sich orientieren konnte.
Und: Die Menschheit tat einen weiteren Schritt und breitete sich im Universum aus. Sie musste dafür Opfer bringen. Immer mehr Blicke richteten sich auf das Solsystem. Das »6-D-Juwel«, wie die Sonne auch genannt wurde, weil sie das Grab einer Superintelligenz bildete und deren Korpus sechsdimensional aufgeladen war, weckte Begehrlichkeiten.
»Siehst du dir diesen Unfug jetzt auch schon an?«, fragte Caesar Chan.
Der Pilot steuerte das 200-Meter-Schiff auf einem sanften Kurs aus der Orbitalschleife in Richtung Venus. Die Startbeschleunigung von 180 Kilometern pro Sekundenquadrat brachte das Schiff innerhalb von vier Minuten auf eine Geschwindigkeit von 15 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beziehungsweise 45.000 Kilometer pro Sekunde und legte dabei 5,6 Millionen Kilometer zurück. Anschließend flog es mit konstanter Geschwindigkeit weiter, bis in 37 Minuten die Bremsbeschleunigung einsetzen würde.
Jeder Flug stellte eine Gefahr für Leib und Leben dar. Die Bedingungen des Raum-Zeit-Kontinuums in dem fremden, nicht einmal 150 Lichtjahre durchmessenden Miniaturuniversum wechselten immer wieder und machten Flüge zum Risiko. Solange keine enormen Beschleunigungen wirkten, blieb es jedoch im erträglichen Rahmen.
Die CUCULA PAMPO, benannt nach einem Favalo-Musiker des 35. Jahrhunderts, gehörte zu den Versorgungsschiffen des ersten solaren Planeten. Die 40 Millionen Bewohner von Asalluc City und die Besatzungen der Forschungszentren mussten mit Nahrungsmitteln, Gebrauchsgütern und technischem Gerät versorgt werden. Die momentane
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