Blutlinie
mich.“
Was war ihm widerfahren? Ich wollte unbedingt mehr über ihn erfahren, lechzte nach Informationen, wollte ihn besser verstehen.
Mir kam eine Idee.
„Ich erzähle dir etwas von mir, und du mir dann von dir.“
„Aber ich weiß doch schon alles über dich.“
Herausfordernd sah er mich an, was mir ein gekonntes Augenverdrehen entlockte.
„Das glaube ich wohl kaum.“
„Also los, fang an.“
Energisch schüttelte ich den Kopf und schnaubte.
„Diesmal lasse ich dir den Vortritt.“
Er atmete tief durch.
„Also gut. Es war 1935, der erste Weltkrieg hatte uns verschont. Meine Eltern, mein jüngerer Bruder Elias und ich lebten damals in einer kleinen Siedlung, in der Armut und Hunger herrschte. Wir waren niemals reich gewesen, ich kannte kein anderes Leben. Dennoch gab es glückliche Momente. Wir hielten als Familie stets zusammen und unterstützten unsere Eltern, wo es nur ging. Mein Vater arbeitete in der nahen Fabrik, meine Mutter kümmerte sich um uns, versuchte aus der Bruchbude, in der wir lebten, ein annehmbares Heim zu machen, auch wenn es an allen Enden zog und der Wind hinein pfiff. Elias und ich verdienten etwas hinzu, indem wir für die Reichen Botengänge erledigten, Höfe säuberten und Schuhe putzten. Es reichte hinten und vorn nicht und zur Schule waren wir nie gegangen. Zu essen hatten wir kaum etwas, es mangelte an allem. Meine Eltern versagten sich noch viel mehr, gaben uns die letzten Reste, die sie erbettelt oder auf dem Müll gefunden hatten. Es wurde immer schlimmer. Aber das war noch nichts, bis zu dem Tag, an dem Elias krank wurde. Er bekam hohes Fieber, hustete, kriegte kaum noch Luft. Wir hatten kein Geld für einen Arzt, schleppten uns zu einem Veterinär, den mein Vater kannte und der meinen Bruder untersuchte. Er sollte in der Nacht bei ihm zur Beobachtung bleiben, mehr konnte er nicht tun. Am nächsten Morgen war er tot.“
Erschrocken sah ich Brandon an. Seine Stimme war immer leiser geworden, Schmerz stand in seinen Augen.
„Elias war an einer Lungenentzündung gestorben. Mein kleiner Bruder, der so gerne lachte und mit dem ich stundenlang im Schlamm gespielt hatte und später auf die Jagd ging. An diesem Tag wachte ich auf. So konnte es nicht weitergehen.“
Brandon klang verbittert, trotzig.
„Gerüchte waren mir zu Ohren gekommen. Man munkelte, dass sich leicht Geld verdienen ließ, indem man sein Blut verkaufte.“
Ich horchte auf. Mama und Papa , ging es mir durch den Kopf. Nein, damals lebten sie ja noch nicht, aber Großvater, der gar nicht mein Großvater war.
„Ein Junge in der Nachbarschaft, mit dem ich Freundschaft geschlossen hatte, nahm mich mit. Wir wurden mit einem Dutzend anderer aus der Stadt herausgebracht. Sie stülpten uns Säcke über den Kopf, fesselten unsere Hände. Mir war es egal. Was hatte ich noch zu verlieren?
Mein Bruder war in einer Wiese verscharrt, denn eine Beerdigung, wie du dir vielleicht denken kannst, konnten wir uns nicht leisten. Wir waren arm, krank und hatten keine Perspektive. Also ging ich das Risiko ein. Wenn ich heute darüber nachdenke, war es auch ein wenig Todessehnsucht. Wenn sie es übernahmen, mich aus meinem beschissenen Leben zu holen, wäre ich ihnen sogar dankbar gewesen.“
Brandon setzte sich auf, trank einen Schluck Cola, bevor er weiter sprach.
„Doch als wir dort ankamen, an einem weitläufigen Grundstück, wurden die Fesseln gelöst und wir in das Haus geführt, wo uns ein Arzt empfing.“
Brandon rieb sich mit der Hand über das Gesicht.
„Ein ausgebildeter Doktor stand vor mir, der Elias hätte helfen können, ihm Medikamente hätte geben können, ihn hätte retten können. Und ich war zu spät gekommen.“
Unwillig lachte er auf, so kalt, dass ich zusammenzuckte.
Ich wollte ihm sagen, wie leid es mir tat, wollte seine Hand nehmen, ihm sagen, dass es nicht seine Schuld war.
„Man behandelte uns gut. Mir wurde Blut abgenommen, ich wurde eingehend untersucht. Der Arzt gab mir ein Mittel mit, dass mich stärken sollte. Ich war unterernährt und das würde sich auch auf mein Blut auswirken, sagte er. Ich sollte mich von nun an gesünder ernähren. Doch wovon? Und dann erhielt ich die Antwort. Man gab uns einen Vorschuss und wir konnten somit genügend Essen kaufen. Offenbar brauchten sie uns und waren bereit, uns entgegenzukommen.“
„Und wenn euer Blut unbrauchbar gewesen wäre?“
„Zu der damaligen Zeit gab es keine nennenswerten Blutkrankheiten. Was die Vampire bereits
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