Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall
draußen übernehmen?«
Betroffen schüttelte Marco Kern den Kopf.
»Wir warten erst mal ab, was er uns gleich zeigen wird. Danach können wir immer noch die Polizei informieren.« Ein zartes Pflänzchen Hoffnung keimte in Gero Lottner auf. »Vielleicht hast du ja recht und es ist wirklich nur ein übler Scherz.« Er legte ihm die Hand auf die Schulter. »Komm, wir müssen los.«
Die beiden Männer eilten in den Übertragungswagen und nahmen am Regiepult Platz. Keiner der anwesenden Personen gab während der quälenden Wartezeit auch nur einen einzigen Ton von sich.
Das Telefon läutete. Die Bildmischerin zuckte erschrocken zusammen. Gero Lottner griff nach dem Hörer, presste ihn ans Ohr. Kommentarlos nahm er die Anweisungen entgegen. Bereits nach wenigen Sekunden legte er den Hörer wieder auf.
Mit fliegenden Fingern hämmerte er die ihm übermittelte Internetadresse in die Tastatur. Alle im Ü-Wagen befindlichen Mitarbeiter des Fernsehteams hatten sich inzwischen hinter dem Laptop versammelt und starrten nun gebannt auf den Monitor. Das Bild hatte sich in Windeseile aufgebaut. Es wurde von einer Webcam übertragen und zeigte den in gleißendes Licht getauchten Prachtbau der Pfalzgalerie.
Der Erpresser meldete sich erneut.
Kurz darauf detonierten in unmittelbarer Nähe der breiten Sandsteintreppe zwei Sprengsätze. Es waren dumpfe Geräusche, wie starke Kanonenschläge. Die Scheiben des Übertragungswagens vibrierten. Alle zogen reflexartig ihre Köpfe ein.
»Oh Gott, das war hier ganz in der Nähe«, wimmerte die Bildmischerin.
Langsam tauchte hinter einer Staubwolke die blassrote Fassade der Pfalzgalerie wieder auf. Entsetzt stierte das Event-TV -Team auf die Mattscheibe.
Lottner wies mit zitternder Hand auf den Bildschirm. »Da, da stand doch eben noch ein Mensch«, stotterte er. »Dieser Irre … hat eben … vor unseren Augen … einen Menschen ermordet.«
»Ach, du Scheiße! Der meint es wohl tatsächlich ernst«, keuchte Marco Kern.
Er sprach damit genau das aus, was in diesem Augenblick wohl jeder dachte.
2
(vier Wochen zuvor)
Heiner stürmte in die gemütliche Wohnküche seiner Eltern. »Yeah, Leute, ich hab’s endlich hingekriegt!«, jubilierte er. Er ballte die Fäuste, warf sie in Richtung der Decke. »Es ist geschafft!«
Wie stets, wenn Tannenbergs Mutter das Essen zubereitete, hatte Kurt die ganze Zeit über erwartungsvoll neben ihr gestanden und sie nicht aus den Augen gelassen. Doch Heiners polternder Auftritt hatte dieser friedlichen Harmonie ein jähes Ende bereitet. Kurt war erschrocken zusammengezuckt und hatte kurz aufgejault. Nun klemmte er den Schwanz ein und trottete mit hängendem Kopf hinüber zu seinem Herrchen, der gemeinsam mit dem Senior der Familie am gedeckten Mittagstisch saß.
»Ja, meine lieben Kulturbanausen«, fuhr Heiner unterdessen fort, »ihr könnt wirklich stolz auf mich sein. Denn die Muse hat mich wieder einmal geküsst!«
Wolfram Tannenberg kraulte sanft den wuscheligen Hundekopf auf seinem Oberschenkel. Ohne die Verwöhnaktion zu unterbrechen, drehte er den Oberkörper zu seinem Bruder hin, runzelte dabei die Stirn.
»Was hast du?«, fragte er, allerdings eher pro forma. Denn obwohl seine Mimik eine gewisse Überraschung zum Ausdruck brachte, schwante ihm jedoch bereits, was ihn nun erwartete.
»Gerade eben hab ich eine weitere kriminalpoetische Spitzenleistung vollbracht«, verkündete Heiner mit stolzgeschwellter Brust. Er zog ein Blatt Papier aus seiner Hose und faltete es auseinander. »Und ihr, meine Lieben, seid dazu auserkoren, dem ersten öffentlichen Vortrag dieses Meisterwerks zu lauschen. Seid ihr bereit?«
Hiermit bestätigte sich Tannenbergs düstere Vorahnung. Jacob, der bislang keine Miene verzogen hatte, schmökerte noch ein wenig in seiner Bildzeitung . Dann bedachte er seinen ältesten Sohn mit einem ausdruckslosen Blick. Seine Frau Margot dagegen erweckte einen durchaus interessierten Eindruck. Sie lehnte schmunzelnd an der Spüle, trocknete sich die Hände an ihrer Kittelschürze ab.
»Ich sollte vielleicht vorausschicken, dass ein offensichtlich geistesgestörter Mann auf der Polizeiwache erscheint«, erläuterte Heiner. Er nahm eine theatralische Pose ein. Gestenreich trug er anschließend seine neueste lyrische Komposition vor:
Kleine Verwechslung
»Oh Gott, geamselt hab ich eben meine Frau.«
»Geamselt?«, fragt der Polizist. »Was soll das denn sein?«
»Ach, verdammt, mir fällt das Wort doch nicht mehr ein!
War
Weitere Kostenlose Bücher