0028 - Wir - in den Katakomben von Paris
»He, komm rauf!« rief Phil vom Steuerstand in die Kajüte hinunter.
Ich wälzte mich von der Koje, schlüpfte in die Bordschuhe, gähnte und kämmte mir mit allen zehn Fingern die Haare aus der Stirn. Dann tigerte ich mit zwei Sätzen die schmale Leiter zum Steuerstand hoch.
»Wir sind da!« sagte Phil und machte eine vage Geste nach vorn. Im Grau des frühen Morgens — es war noch nicht fünf Uhr — lag Paris vor uns, wenigstens der Teil, den man von der Seine aus sehen konnte, rechts der Eiffelturm, etwas weiter flußaufwärts der Invalidendom, links die Kuppel des großen Palastes und ganz am Rande auf der Hügelkuppe des Montmartre das weiße Gebilde der Kirche Sacré Coeur. Unmittelbar vor uns aber wölbte sich hintereinander ein rundes halbes Dutzend der dreißig Brücken, die im Stadtgebiet von Paris die Seine überqueren.
Phil steuerte die Motorjacht unter einem Brückenbogen durch. Am Ufer lagen ein paar dunkle Gestalten, die Mäntel über die Köpfe gezogen, zusätzlich mit Zeitungspapier zugedeckt: ein paar Clochards, die berühmtberüchtigten Bettler von Paris. Sie nahmen keine Notiz von uns.
Phil warf einen Blick auf die Flußkarte über dem Kompaß. »Der Port de Plaisir, der Vergnügungshafen von Paris, muß jeden Augenblick kommen«, sagte er. »Liegt auf der Backbordseite.«
Der Fluß beschrieb eine sanfte Schleife.
»Ich denke, das wird er sein«, sagte ich und zeigte voraus. »Da liegen schon eine Anzahl Kähne, die eine ganze Nummer besser zu sein scheinen als unserer.«
Aus dem Grau des Morgens hoben sich die schlanken Leiber schnittiger Jachten aller Größenordnungen, angefangen vom Flußhüpfer bis zu seetüchtigen Schiffen, die mehr als ein halbes Dutzend Männer zur Bedienung erfordern. Die meisten jedoch waren Luxuskutter der Mittelklasse, eingerichtet zur Bedienung durch zwei bis drei Männer und küsten- und mittelmeertauglich, wenn nicht gerade Windstärke zwölf herrschte.
Unser Kahn, mit dem wir die Seine hochschipperten, hörte auf den hübschen Namen ›Gundula‹. Wenigstens stand dieser Name in funkelnagelneuen Messinglettern am Heck. In Wahrheit hieß das Ding schlicht und einfach ›M. S. 4‹ und gehörte zur Abteilung ›Fahrzeuge für besondere Zwecke‹ von Scotland Yard. Im Wege der Amtshilfe über Interpol hatten wir die M. S. 4 bzw. die ›Gundula‹ vor zwei Tagen in Portsmouth von einem freundlich lächelnden Inspektor übernommen, der uns einen Haufen Papiere in die Hand drückte, aus denen hervorging, daß der Motorkutter ›Gundula‹ von einem Mr. Gregory an Mr. Jeremias Cotton verkauft worden war. In Wahrheit gehörte uns jedoch auf dem Kahn nichts außer unseren Zahnbürsten und den 38ern in den Koffern.
Die FBI-Zentrale in Washington hatte uns nach Paris beordert, um einen amerikanischen Beitrag zu einem ganz großen Schlag zu leisten, an dessen Gelingen so ziemlich alle Länder interessiert waren, die Wert darauf legen, daß unter ihren Bürgern Ordnung, Zucht und Sitte herrscht. Normalerweise sorgt da jede Polizei innerhalb der Grenzen ihres Landes dafür, daß die Verbrecher aller Sorten nicht zu übermütig werden, aber seitdem die Welt kleiner geworden und die Beschaffung eines falschen Passes für einen einigermaßen bewanderten Ganoven eine Feierabendbeschäftigung geworden ist, seitdem kommen die Kriminalbehörden aller Staaten nicht mehr ohne internationale Zusammenarbeit aus. Man traf sich, einigte sich und gründete ›Interpol‹ mit Sitz in Paris, und diese Organisation besteht schon eine Reihe von Jahren und hat sich großartig bewährt.
Also, Phil und ich, wir waren auf dem Wege zu einem Interpolmeeting, aber zu einem Meeting besonderer Art. Wir waren hier, um auf internationaler Basis einer internationalen Gang endgültig den Garaus zu machen, einer Gang, mit der die Polizei vieler Länder in einer erbitterten Fehde lag.
Dieser Kampf ging schon über Jahre, und am besten mache ich Ihnen vielleicht an einem Beispiel klar, warum wir hofften, ihn in Paris endgültig ausfechten zu können.
Sicher haben Sie schon mal etwas von einem Polypen gehört, dieser riesenhaften Sorte von Tintenfischen mit einem Haufen schrecklicher und langer Arme und einem Kopf und Magen in der Mitte. Die Dinger kommen manchmal in Hollywooder Unterwasserfilmen vor. Gewöhnlich überfallen sie Taucher, die sie mit den Armen umschlingen.
Die Taucher hacken ihnen dann eine Menge Arme ab, aber das kümmert den Polypen nicht die Bohne, bis dann gewöhnlich ein
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