Bordeuax
Susan war eine forsche Frau
mittleren Alters in einer weißen Uniform. Sie sah, dass ich wach war, und
sagte: »Na? Wie geht es uns?« Sie sprach mit dem scharfen Dialekt des
Nordostens, den ich aus einer früheren Phase meines Lebens kannte.
Ich murmelte irgendetwas als
Antwort.
»Sie brauchen jetzt eine schöne
warme Tasse süßen Tee«, sagte sie streng. Sofort überkam mich Übelkeit, und ich
fing an zu würgen. Bevor ich irgendwelche Einwände erheben konnte, hatte
Schwester Susan die Tasse auf dem Nachttisch abgestellt und von irgendwo her
eine Plastikschale mit einem feuchten Tuch hervorgezaubert. Sie hielt flugs
die Schale bereit, während ich mich übergab; Schweißperlen bildeten sich auf
meiner Stirn und liefen mir die Wangen hinunter. Danach wischte sie mir mit dem
Tuch das Gesicht ab, nahm die Schüssel weg und kehrte Sekunden später mit
einem Glas Wasser wieder.
»Trinken Sie das, Kindchen. Ich habe
etwas hineingetan, damit sich Ihr Magen beruhigt.«
Ich versuchte, das Glas zu halten,
aber meine Hände zitterten so heftig, dass Susan es zu meinem Mund führen
musste, und ich konnte ein paar Schlucke trinken. Zuerst dachte ich, mir würde
wieder schlecht, aber dann passierte doch nichts, und nach kurzer Zeit war
alles wieder einigermaßen normal.
Als ich wieder sprechen konnte,
sagte ich: »Nehmen Sie bitte den Tee mit.«
»Er würde Ihnen sicher guttun,
Kindchen.«
»Ich kann den Geruch nicht
ausstehen.«
Schwester Susan schüttelte zweifelnd
den Kopf, nahm den Tee aber weg.
Als sie gerade das Zimmer verlassen
wollte, rief ich ihr hinterher: »Schwester?«
Sie blieb stehen und drehte sich um.
»Im Weinschrank in der Küche steht
eine Flasche 96er Château Yon-Figeac. Ich hoffe jedenfalls, dass es der 96er
ist. Würden Sie die bitte öffnen und mir ein großes Glas bringen.«
Sie winkte ab. »Kein Alkohol, Mr
Wilberforce. Anordnung des Arztes. Wirklich unartig von Ihnen. Sie dürfen nicht
mal daran denken.« Sie ging, bevor ich die zahllosen zwingenden Argumente
vorbringen konnte, warum Colin kein Recht hatte, mich in meinen eigenen vier
Wänden vom Weintrinken abzuhalten; warum mein Körper ganz allein mir gehörte
und ich damit machen konnte, was ich wollte; warum ich mit einem Quantum von
vier bis fünf (vielleicht auch fünf oder sechs) Flaschen pro Tag in den
vergangenen Jahren sehr gut über die Runden gekommen war; und warum sie lieber
abhauen und sich woanders nützlicher machen sollte, statt mir mein
Lebenselixier zu missgönnen.
Ich hörte, wie sie nach unten ging,
kurz darauf wurde der Fernseher in der Küche eingeschaltet.
Ich liebe Wein. Es war nicht immer
so, aber seitdem habe ich durch Leidenschaft und die besondere Intensität
meiner Beziehung zu ihm die jämmerliche Unkenntnis der ersten dreißig Jahre
meines Lebens wettgemacht. Genauer gesagt: Ich trinke sehr gerne weißen
Burgunder, ich mag auch einige rote Burgunder, ich habe mit einigen
exzellenten und verführerischen Weinen aus der Toskana geliebäugelt, aber es
ist der Bordeaux, den ich verehre. Wenn ich von Wein spreche, dann von rotem
Bordeaux. Ich spreche von dem Wein, der aus den Rebsorten Cabernet Sauvignon,
Merlot, Cabernet Franc und Petit Verdot hergestellt wird. Ich spreche von Weinen,
die auf dem kargen Boden des Medoc, auf den Lehmschichten von Saint-Emilion und
Pomerol und dem eisenhaltigen Boden des Terroir des Petrus angebaut
werden. Ich spreche von Weinen, die aus einer Triage gemacht werden - der Auslese der besten Beeren -, Trauben, die in einer Fouloir-egrappoir, einer Abbeermaschine, entrappt und dann in die Cuve gepumpt werden, wo sich über viele bange Tage und Nächte die Gärung vollzieht.
Danach werden die Beerenhäute wieder hinzugefügt, und über weitere zehn bis
vierzehn Tage erfolgt die Mazerierung, die dem Wein Farbe und Körper gibt.
Wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, wird der Wein von der Kufe ins Fass
umgefüllt, wo er zwei Jahre oder noch länger verbleibt, bis er schließlich auf
Flaschen gezogen wird.
All das ist Chemie, Technik und,
nicht minder, Zauberei. Hieße es nur, die Regeln zu befolgen, es würde etwas
Ungenießbares dabei herauskommen, auch wenn man die gleiche Ausrüstung und die
gleichen Methoden anwendet wie die großen Weinhersteller; ein Jacques Thienpont
oder ein Christian Moueix dagegen fügen dem Prozess noch eine Prise Magie
hinzu, und plötzlich wird aus dem Traubenmost etwas Wunderbares, geradezu
Himmlisches.
Während ich so im Bett lag und an
Wein
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