Breathe - Gefangen unter Glas: Roman (German Edition)
nimm den hier mit. Orientiere dich Richtung Westen.« Gideon gibt mir einen alten Kompass. »Du darfst dein Pad nicht benutzen, damit sie dich nicht orten können.« Jetzt reicht er mir noch eine alte Karte und zeigt auf einen dunklen Punkt. »Das hier ist der Rebellenhain. An den größten Teil des Weges wirst du dich eh erinnern, da bin ich mir sicher.«
»Fertig?«, fragt Harriet. Sie klinkt die Tür zur Müllrutsche auf und blickt in den Schacht.
Irgendwo aus der Kuppelmitte ist eine Explosion zu hören, dann geht Sirenengeheul los.
»Das wird das Gas sein«, meint Gideon. Er trägt einAtemgerät und zieht sich jetzt die Maske über Mund und Nase. Harriet und Old Watson tun es ihm nach, während Gideon mir hilft, meine Maske festzuzurren. Dann schnallt er mir einen Gurt um die Taille und befestigt die Sauerstoffflasche daran.
»Vorsicht vor Glasscherben auf dem Containerboden«, warnt mich Old Watson. Dann führt er mich an der Hand zu meinem Fluchtweg.
Ich fühle mich immer noch schwach und klapprig. Nur mit Mühe schaffe ich es, auf den Rand der Müllrutsche zu klettern. Ich will nicht fliehen. Ich will meine Eltern begraben. Und Quinn suchen. Schon einmal habe ich ihn zurückgelassen, und das war das Schlimmste, was ich je getan habe. Ich werfe einen Blick auf Harriet und Gideon und dann auf Old Watson, der streng nickt.
»Nun mach schon«, blafft er.
Ich würde am liebsten protestieren, aber ich weiß, dass das, was ich tun will, jetzt weniger wichtig ist als das, was ich tun muss: überleben. Um Quinns willen. Um meiner Eltern willen. Also reiße ich mich zusammen und stoße mich vom Rand der Müllrutsche ab – und schon bin ich im Schacht verschwunden. Sause in einer dunklen Röhre aus der Kuppel heraus. Wie so vieles andere Kaputte, Zerbrochene, das hier schon durchgerutscht ist.
QUINN
Wieder geht der Türsummer und eine Sekunde später stürmt eine große Gestalt in die Zelle. Ich hocke an die Wand gekauert da, und als ich hochblicke, steht mein Vater in zerrissener, staubiger Uniform vor mir.
»Sie haben mich hergeschickt, damit ich mit dir verhandle. Ausgerechnet ich !«, brüllt er. »Ist dir überhaupt ansatzweise bewusst, was du getan hast?«
»Ist dir überhaupt ansatzweise bewusst, was du getan hast?«, brülle ich zurück. »Ist dir klar, womit du die Hälfte deines Lebens zugebracht hast?«
Mein Vater nimmt sein Käppi ab, faltet es zusammen und steckt es in die Jackentasche. Als er spricht, klingt er überraschend gefasst:
»Ich habe mein Leben damit zugebracht, dir ein gutes Leben zu ermöglichen. Mit allen Annehmlichkeiten. Glaubst du etwa, es ist leicht, die Premiums an der Macht zu halten? Nein, ist es nicht. Und du besitzt die Frechheit, über mich zu urteilen? Du genießt die Früchte meiner Arbeit und wagst es nun zu hinterfragen, wie diese Früchte auf deinen Teller gekommen sind? Jedesschicke Kleidungsstück, das du in deinem Leben getragen hast, jedes Feinschmeckermenü, das du gegessen hast, jedes Quäntchen Sauerstoff, das du geatmet hast, habe ich dir besorgt – mit meiner Arbeit.«
»Aber ich will das gar nicht. Ich will …« Ich halte inne.
»Was willst du? Was kannst du wohl wollen, das ich dir noch nicht gegeben habe?«
»Ich will frei sein«, sage ich schließlich.
Mein Vater kneift stirnrunzelnd die Augen zusammen, so als würde ich eine Sprache sprechen, die er nur mit höchster Konzentration versteht. Dann blickt er zu Boden und seufzt.
»Der Präsident ist umgekommen. Dafür wird man dich vor Gericht stellen und exekutieren.«
Ich nicke. Das ist das, was ich erwartet habe. Vielleicht ist es sogar weniger schlimm.
»Kannst du ohne zugesetzten Sauerstoff atmen?«, fragt mein Vater unvermittelt.
Ich schüttele den Kopf. »Noch nicht, aber ich bin auf dem besten Weg dahin.«
Erstaunt hebt er die Augenbrauen. Wahrscheinlich hält er mich für so nichtsnutzig, dass er mir selbst das nicht zugetraut hätte.
»Also hast du trainiert«, stellt er fest und ich nicke. Sieht so aus, als hätten wir gerade einen dieser sogenannten »Momente« die Väter und Söhne manchmal, wenn sie Glück haben, miteinander teilen. Bei uns wäre es allerdings das erste Mal.
»Dir muss klar sein, dass du nie wieder zurückkommen kannst«, sagt er schließlich. »Und jetzt folge mir.«
»Was werden Sie mit ihm machen, General?«
Der Aufseher, der mich eingangs befragt hat, hastet hinter uns her durch den unbeleuchteten, immer enger werdenden Tunnel, in den wir eingebogen
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