0019 - Ich - und der große Ausbruch
Im Volksmund heißt das State Jail, das Zentralgefängnis auf der anderen Seite des Hudson, »Pension Ewigkeit«. Niemand wird mit Sicherheit feststellen können, aus welchem Grund diese Bezeichnung für den großen Gebäudekomplex aus roten Ziegeln geprägt wurde. Sehr wahrscheinlich deswegen, weil in diesem Gefängnis mehr schwere Jungs saßen als in jeder anderen Verwahranstalt der Vereinigten Staaten, Gangster, die der Richter zu lebenslänglichem Gefängnisaufenthalt oder, wie es bei uns heißt, zu dreißig Jahren oder mehr verurteilt hat, zu einer kleinen Ewigkeit also, wenn man die Zeit mit menschlichen Maßstäben mißt.
Die Pension Ewigkeit war selten von weniger als zwölftausend Gesetzesbrechern bewohnt. Der Komplex, der ein Areal von mehr als einer halben Quadratmeile bedeckt, gliedert sich in drei Hauptgebäude, von denen ursprünglich zwei den leichteren Fällen bis zu höchstens fünf Jahren, das dritte aber den Dreißigjährigen und rückfälligen Gewohnheitsverbrechern ohne Rücksicht auf die Länge ihrer Strafe zugedacht war. Leider ließ sich diese saubere Teilung nicht strikt durchführen. Mal gab es mehr leichte, meistens aber mehr schwere Jungs, und so führte dieser unterschiedliche Anfall an »Pensionären« schließlich dazu, daß in zwei Gebäuden sowohl leichtere wie auch schwere Fälle ihre Strafen absaßen.
Außer den drei eigentlichen Zellengebäuden gab es eine Menge sonstiger Bauten. Die Küchen, die Speisesäle, die Sporthallen, Schlossereien, Schneidereien, das Hospital, die Schreinerwerkstätten, kurz, das State Jail ist eine Stadt für sich, umgeben von einer hohen Mauer und zu betreten nur durch zwei eiserne Tore.
Für zwölftausend Gefangene sorgen sechshundert Wärter, die sich in die Tag- und Nachtschicht teilen, so daß auf jeden Wärter nie weniger als vierzig Gefangene kamen, doch bedeutet dieses schlechte Verhältnis nicht viel, denn das State Jail galt als absolut ausbruchsicher. Wohlgemerkt — galt. Denn bis zu jenem grauen Tag im November war es noch keinem Gauner gelungen, aus diesem Gefängnis auszubrechen.
An jenem Novembermorgen um sieben Uhr nahm die Gruppe der Tagesdienstwächter von Block III im Dienstraum des Oberaufsehers die Diensteinteilung für den Tag entgegen. Etwa dreißig Männer standen in der Vorhalle des einstöckigen Gebäudes. Es war ein frischer, regnerischer Morgen. Die Beamten froren. Der Raum war nicht gut geheizt.
»Ich weiß nicht, ich weiß nicht«, murmelte der Gefängniswärter Albert Wenderwood, ein Mann im Rang eines Oberwachtmeisters. »Es liegt etwas in der Lfut. Ich fürchte, wir bekommen noch Ärger.«
Er sagte es zu seinem rechten Nebenmann — ebenfalls ein Oberwachtmeister, aber nicht klein und schmal wie Wenderwood, sondern ein großer, stämmiger Bursche mit einem runden Gesicht und der Wölbung eines Bauches unter der Uniformjacke. Sein Name war Buster Stemmer.
»Ärger?« brummte Stemmer. »Ärger gibt es immer bei den ›Ewigen‹, und ganz besonders, seit der Direktor Egger Clifton strafversetzt hat, nur weil er einem renitenten Burschen eins überzog. Das wissen sie, und seitdem werden sie täglich frecher.«
Trotz seines gemütlichen Aussehens war Buster Stemmer ein Mann, der seine Gefangenen als Verbrecher betrachtete und der nichts davon hielt, sie mit besonderer Zartheit zu behandeln. Wenderwood hingegen, der langsam auf die Sechzig zuging, besaß ein gütiges Herz, und sein Verhältnis zu den Insassen des State Jail war weniger das eines Wärters als das eines Mitgefangenen. Vielleicht liebten ihn die Verurteilten deshalb. Vielleicht auch nahmen sie ihn nicht ganz ernst.
Lieutenant Brex, der Chef vom Dienst für Block III, trat ein.
»Morning«, grüßte er, und die Beamten murmelten den Gruß.
Er nahm die Liste vom Schreibtisch. »Christer, South, Leber, Fondaci«, las er vor, »Schlossereigruppe. Fenton, Mudman, House — Schneiderei. Luc, Eath, Bolder, Frances — Küche.«
So ging es weiter. Buster Stemmer wurde der Autowerkstatt zugeteilt. Albert Wenderwood erhielt die erste Wache auf dem einen der beiden Türme, deren Türen nur von innen zu öffnen sind und die mit ihren Maschinengewehren den ganzen Platz zwischen dem eigentlichen Gefängnisgebäude und der Mauer bestreichen können.
Die Stadt, der Gefangenen erwachte zum Leben. Punkt halb acht Uhr dröhnten drei Glockenschläge durch Block I, II und III. Die genagelten Stiefel der Wärter donnerten auf den Blechböden der einzelnen Etagen, knallend
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