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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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Kind zeigten, vergleicht
man gern mit der Natur Ihrer beiden Eltern, und mit Ihrem eigenen späteren Wesen. Diese drei Punkte haben mir beim Lesen immer gleich deutlich vor Augen gestanden. Es ist vollkommen offenbar, daß, was Sie als Kind charakterisiert hat und was sich überall in Ihrem künftigen Leben wieder finden wird, wenn Sie in Ihren Schilderungen fortrücken werden, eine gewisse Innerlichkeit Ihres Wesens ist. Sie scheinen zwar auch in jenen Jahren der früheren Kindheit sehr aufmerksam auf dasjenige gewesen zu sein, was um Sie herum vorging, allein doch nicht sowohl, um darin nun wirklich zu leben, als um sich daraus eine eigene, innere Welt zu bilden. Es ist ebenso unverkennbar, daß Sie diese, mehr innerliche Natur Ihrem Vater verdanken, in dem sie nur auf eine andere Weise vorhanden und aus anderen Quellen entsprungen war. Über Ihre Eltern und ihre gegenseitigen Vorzüge zu urteilen, ist nicht leicht. Wie beide da in der Welt standen, ist man sehr geneigt, sich doch mehr für Ihre Mutter zu erklären. Sie ist praktisch tätig, mutig, besonnen, verständig und doch nicht von tändelnder, aber doch von sehr wahrer Liebe und Wohltätigkeit. Der größere Charakter unter beiden ist sie gewiß. Bei dem Vater vermißt man das recht ins Leben Eingreifende, das einem Manne noch mehr als einem Weibe geziemt. Allein man hütet sich mit Recht abzuurteilen. Es ist sichtbar, daß man in sein eigentliches, inneres
Wesen nicht gehörig eindringt. Es ist auch höchst wahrscheinlich, daß er nie Gelegenheit fand, dies ganz und ohne Rückhalt aufzuschließen. Mit seiner Frau konnte er in einem solchen Verhältnis nicht stehen. Er hätte es späterhin mit Ihnen gekonnt, und vielleicht ist es auch in der Folge bis auf einen gewissen Punkt geschehen? Das werden in der Folge Ihre Blätter zeigen. Allein es ist selten und schwer, daß ein Vater sich über sich selbst erwachsenen Töchtern vollkommen öffnen kann. Dann war auch die innerliche Natur Ihres Vaters (ich meine darunter nämlich die Neigung, vorzugsweise vor allem andern, sich mit sich selbst zu beschäftigen) mit etwas, das, wenn man es auch nicht körperlich allein nennen mag, doch vom Willen und selbst vom Bewußtsein unabhängig und getrennt ist, vermischt. Diese Träume, dieser gewissermaßen natürliche Magnetismus, haben in sich etwas Geheimnisvolles, von dem sich weder Ursachen noch Folgen berechnen lassen, und das immer wie eine unbekannte Größe dasteht, und etwas, das das Urteil über den ganzen Menschen, in dem es sich befindet, ungewiß macht.
    Ich gestehe, daß ich keine Vorliebe für diese innere Gemütsstimmung habe. Ich bedarf Klarheit der Gedanken und des Bewußtseins, daß nichts in mir ohne meinen bestimmten und wohlgeordneten Willen vorgeht. Ich besitze, teils von Natur, teils durch die sehr früh begonnene Übung eines langen Lebens, eine
große Gewalt und Stärke über mich selbst, und mir würde daher schon in der Idee ein Zustand peinlich sein, wie der war, wo in dem Traum, den Sie von Ihrem Vater erzählen, er von einem fremden Geiste in seiner unmittelbaren Existenz scheint beherrscht zu werden. Ich bin daher noch viel behutsamer, über Ihren Vater mir das mindeste Urteil zu erlauben, als ich es immer bei jemanden sein würde, der Ihnen so nahe steht. Sie fragen mich, ob ich die Umgegend von Preußisch-Minden und die Porta Westphalica kenne. Nein, ich bin in jener Provinz immer im schnellen Durchreisen gewesen, und in diese Gegenden auch nicht einmal gekommen. Ich halte sie aber für sehr anziehend, außerdem, daß sie geschichtliche Wichtigkeit haben. Nun werde ich indes schwerlich mehr reisen und mich anders als in dem Kreise bewegen, in dem ich mich herumdrehe, und werde ich sie also auch wohl nie sehen. Auch sehe ich eben, daß Sie meinen Rat über etwas wünschen. Schreiben Sie mir nur ohne Rückhalt, wenn ich Ihnen raten kann, tue ich es gewiß mit Freuden. Es ist aber wahr, daß ich nichts davon halte, Rat zu fragen, noch zu erteilen. Gewöhnlich wissen die Fragenden schon, was sie tun wollen, und bleiben auch dabei. Man kann sich von einem andern über mancherlei, auch über Konvenienz, Pflicht aufklären lassen, aber entschließen muß man doch sich selbst. Leben Sie herzlich wohl! Unwandelbar der Ihrige. H.
     
     
Berlin
, den 18. Oktober 1823.
     

    D en für den Augenblick nötigsten Teil Ihres letzten Briefes, liebe Charlotte, habe ich schon neulich beantwortet, und bin begierig, aus Ihrem nächsten zu sehen, ob Sie

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