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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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oder auf der Oberfläche verweilend, ob mit kühnerem und fettem Entschluß ins Leben eingreifend, oder Schwäche verratend, bleibt gewiß von der Kindheit bis in den Tod die nämliche. Das war für heute vorerst das Wichtigste, was ich Ihnen über dies Heft sagen wollte. Auf ein und anderes komme ich ein anderes Mal zurück. Immer aber wiederhole ich Ihnen aufs neue meinen herzlichen Dank für die Mühe, die Sie mir so liebevoll widmen.
     
     
Berlin
, den 12. Januar 1824.
     

    I hr Brief, liebe Charlotte, vom 21. v. M. hat mir große Freude gemacht, und ich danke Ihnen von ganzem Herzen für alles Liebevolle, das er enthält. Nehmen Sie
besonders meinen Dank für Ihre Wünsche zum neuen Jahr an, und seien Sie versichert, daß ich sie aus recht inniger Seele erwidere. Niemand kann innigeren Anteil an Ihnen nehmen als ich, niemand es besser mit Ihnen meinen; so kann auch niemanden die Erfüllung der Wünsche für Ihr Glück so sehr am Herzen liegen als mir, davon seien Sie mit unumstößlicher Gewißheit überzeugt. Sorgen Sie aber auch selbst, beste Charlotte, angelegentlich für Ihre Gesundheit und Ihre Ruhe. Mir kommt es immer vor, daß die Art, wie man die Ereignisse des Lebens nimmt, eben so wichtigen Anteil an unserm Glück und Unglück hätte, als diese Ereignisse selbst. Den eigentlich frohen heiteren Genuß kann man sich allerdings nicht geben, er ist eine Gabe des Himmels. Aber man kann viel dazu tun, das Unangenehme, dessen für jeden das Leben immer viel herbeiführt, ruhiger aufzunehmen, mutiger zu tragen, besonnener abzuwehren oder zu vermindern. Man kann wenigstens vermeiden, sich unnötige und ungegründete Besorgnis und Unruhe zu erregen. Wenn man das eine und das andere tut, sucht man sich damit gleichsam recht frei von der Abhängigkeit der höheren Mächte zu machen; man genießt ja dadurch noch lange kein Glück, man bewahrt sich nur vor zu unangenehmen Empfindungen. Man handelt aber gewiß im Sinne und nach dem Willen des Himmels, wenn man mit so viel Selbständigkeit, als die individuellen Kräfte
zulassen, dem Geschick begegnet und sich seinen Einflüssen von innen heraus weniger zugänglich macht. Ich sage das, liebe Charlotte, um Ihnen vorzustellen, daß Sie sich nicht so um nichts beunruhigen müssen, wie neulich, wo Sie, geschreckt durch Träume, sich bangen Ahnungen überließen. Ihre Worte: »Nehmen Sie mir den ängstlichen Kleinmut nicht strenge auf, ach! nehmen Sie mir die Worte nicht so genau – das Unglück macht abergläubig, man fürchtet überall, man sieht nur traurige Vorbedeutungen – der Glückliche weiß nichts von Aberglauben« – diese Worte haben mich sehr gerührt und in innigster Teilnahme bewegt, und nur aus diesen Empfindungen geht das hervor, was ich Ihnen sage. Sie haben einen viel zu klaren und bestimmten Verstand, haben über diese Dinge in dem, was Sie bei Gelegenheit der Stimmung Ihres Vaters in dieser Art mir geschrieben, so richtig geurteilt, daß Sie nicht durch so unbedeutende Zeichen, wenn man es nur überhaupt Zeichen nennen kann, sich sollten irgend bewegen lassen. Nehmen Sie, was ich da sage, ja nicht als einen Vorwurf auf. Ich würde mir gewiß nicht herausnehmen, Ihnen je einen zu machen. Ich wünsche aber dringend, daß Sie sich nicht vergeblich beunruhigen, nicht Ihrer Gesundheit schaden, sich in Ihren Beschäftigungen stören und sich Ahnungen hingeben, die entweder Kummer über Unglücksfälle rege machen, die nicht eintreten, oder die Träume über wirklich
sich ereignende schon im voraus fühlen lassen. Ich halte es auch nicht für unangemessen, Ihnen so ausführlich darüber zu schreiben, da ich besorge, daß die Unruhe, die Sie darüber äußern, Sie nicht sobald verlassen möchte, und Sie mir sehr oft die wohltuende Versicherung geben, daß Ihnen meine Worte beruhigend und tröstlich sind. Nun leben Sie herzlich wohl und verscheuchen Sie jede bange Sorge. Vertrauen Sie den gütigen Mächten des Schicksals, und glauben Sie nicht, daß es solche gibt, die absichtlich das Herz mit Ahnungen plagen, sich nicht an dem Schmerz über wirkliches Unglück begnügend. Mit den Ihnen bekannten unveränderlichen Gesinnungen der Ihrige. H.
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    Ergebung in das, was geschehen kann, Hoffnung und Vertrauen, daß nur dasjenige geschehen wird, was heilsam und gut ist, und Standhaftigkeit, wenn etwas Widerwärtiges eintrifft, sind alles, was man dem Schicksale entgegenstellen kann.
    Sie erinnern mich an eine Stelle der Bibel und fragen mich, ob ich sie

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