Briefe an eine Freundin
darin, daß sie so unzertrennbar mit einem andern Individuum verbunden sind. In Ideen dieser Gattung würde ich nie von dem Allerkleinsten, ohne vollkommene Änderung meiner
früheren Überzeugung, zurückgehen; es kann nichts geben, was für dies Zurückgehen Entschädigung gewährte, und welches Opfer auch einer solchen zu tiefer Überzeugung gewordenen Idee gebracht werden müßte, so kann es nie, gegen sie selbst gehalten, zu groß sein. Die Festigkeit aber, die darin sich ausspricht, ist keine eigensinnige, sie entsteht nicht einmal allein aus Verstandesüberlegung. Denn ob sie gleich an sich freilich, wie die Überzeugung, von demjenigen, was von dieser Festigkeit begleitet ist, aus dem Verstande entspringt, so gesellt sich nun in einem Gemüte, das den Hang besitzt, eine Idee und einen sich mit ihr verbindenden Gegenstand ganz und gewissermaßen ausschließend zu umfassen, dazu Wärme, Empfindung und eigentliche Liebe. Das ganze Leben wird durch diese Stimmung innerlicher, und wo sie recht einheimisch geworden ist, dauert sie, wie ich in verschiedenen Perioden meines Lebens erfahren habe, auch in derselben Innerlichkeit mitten unter großen äußeren Bewegungen fort. Sie macht alsdann denjenigen, welcher sie besitzt, von allen Äußerlichkeiten unabhängig, überhaupt wird durch dieselbe das Bedürfnis, sich gerade mit einem äußeren Gegenstande zu verbinden, vermindert. Denn die Liebe, welche die bloße innere Idee erweckt, vertritt schon dessen Stelle. Wo aber etwas Äußeres mit der Idee zusammentrifft, da ist nun auch die Wirkung doppelt stark und dauernd. Die Ideen, welche so durch das Leben
begleiten, sind auch natürlich zugleich dann die, welche am besten vorbereiten, das Leben auch entbehren zu können. Denn da das Leben vorzüglich nur durch sie Wert hat, sie aber fest mit den tiefsten Kräften des Gemüts und der Seele vereinigt sind, so kann ich mir wenigstens nicht denken, wie nicht mit ihnen gerade auch das Eigenste, was man besitzt, mit einem hinübergehen sollte. Es ist wohl zu hoffen und mit Vertrauen zu erwarten, daß sie klarer, heller, und in neuer vielfacherer Anwendung den Geist umgeben werden. –
Recht herzlich habe ich mich gefreut, in Ihrem Briefe zu erkennen und ausgedrückt zu finden, daß Sie wieder ruhig und heiter werden und aufs neue erkannt haben, daß ich nur beides zu befördern wünsche. Gewiß habe ich nur diese wohlwollenden Gesinnungen für Sie gehabt, wie ich vor einigen Jahren den Briefwechsel mit Ihnen wieder anfing. Ich glaube mir in meinen Gesinnungen stets gleich geblieben zu sein, und Sie können gewiß ferner darauf rechnen. Die Grundsätze, nach denen ich handle, stammen weder aus Eigensinn, noch sind sie eben so wenig auf eigene Wünsche berechnet. Sehr gefreut hat es mich auch, das volle feste Vertrauen, wie sonst bei Ihnen, zu diesen Ihnen mit liebevollem Anteil geweihten Gesinnungen gefunden zu haben. Halten Sie dies unverbrüchlich fest, liebste Charlotte, und nie wird etwas Störendes in unserem Verhältnis entstehen.
Daß Sie der Konsequenz gram und feind sind, wenn sie nichts als Eigensinn ist, und nur diesen edleren Namen annimmt, darin haben Sie ganz recht. Es ist dies dann nur eine tadelnswerte Scheinheiligkeit. Doch muß man nicht alles Eigensinn nennen, wovon man die Gründe nicht einsieht, oder was auf solchen Gründen beruht, für die man, wenn man sie auch kennt, keinen Sinn hat. Das wäre wieder auf der andern Seite und in einem andern Extreme gefehlt. Noch weniger könnte es Konsequenz genannt werden, wenn man bei Meinungen beharren wollte, die man selbst abgeändert hätte und nicht mehr, wie ehemals, für wahr hält; das wäre nichts als Rechthaberei, oder die Schwäche, nicht vor andern bekennen zu wollen, daß man früher unrecht gehabt hat. Wenn man das selbst fühlt, muß man auch keine Schwierigkeit darin finden, es vor andern einzugestehen. Ich halte garnichts davon, in seinen Grundsätzen, Meinungen und Empfindungen so ein für alle Mal abgeschlossen zu sein und zu denken, daß das nun alles darum so recht wäre, weil man es so lange dafür gehalten hat. Ich prüfe vielmehr immer alles aufs neue und würde es keinen Augenblick Hehl haben, wenn auch das, woran ich sehr gehangen hätte, mir plötzlich anders erschiene. Ich würde dann nicht nur selbst meine vorige Meinung ablegen, sondern es auch ohne allen Anstand bekennen. Gerade aber, wenn man so gestimmt ist, begegnet einem dies bei andern
viel weniger, denn man ist dann an sich
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