Obsession (German Edition)
1
Shahin
Warum ich diesen Weg eingeschlagen habe, um nach dem Einkaufen nach Hause zu kommen, weiß ich nicht genau, vermutlich war es Intuition, oder doch nur Zufall, aber es ist auch nicht wirklich wichtig. Ich konnte einfach nicht schlafen, und so bin ich noch einmal aufgestanden, in dem Wissen, dass der Supermarkt am unteren Ende des Grüneburgwegs schon um acht Uhr öffnet, und in der Hoffnung, dass ich mir damit zwei, drei Stunden Schlaf schenke, weil ich dann eben nicht schon um vierzehn Uhr, sondern vielleicht erst um siebzehn Uhr aufstehen muss, wenn ich schon eingekauft habe. Und automatisch – aus welchen Beweggründen auch immer – habe ich meine Schritte nicht in Richtung Friedberger Anlage gelenkt, an dessen Grünanlage das »Addiction« grenzt, die Diskothek, über der wir wohnen, sondern bin unterhalb des Alleenrings über die Bleichstraße gelaufen, die zusammen mit dem Anlagenring Szene und Alte Gasse von altväterlichen Häusern im Frankfurter Nordend trennt.
Es ist kein großer Umweg, und insofern macht es mir auch nicht wirklich etwas aus, als ich meinen Fehler bemerke. Wenige Meter weiter vorne sehe ich allerdings etwas, das mir überhaupt nicht gefällt, und das meine Aufmerksamkeit sofort fesselt: Schräg gegenüber, vor dem Hotel »Gabriel« auf der Ecke ist der Gehweg mit rot-weißem Absperrband abgesichert, und als ich rechts in die Alte Gasse blicke, stehen mindestens drei Einsatzfahrzeuge der Polizei vor dem Hoteleingang, deren Blaulicht die »Ader der schwulen Szene Frankfurts« in gespenstische Lichter hüllt. Der Leichenwagen, der soeben an mir vorbeifährt, in die Alte Gasse abbiegt, und hinter den Polizeiwagen hält, unterstreicht die Gefährlichkeit des offensichtlich Stattgefundenen nur noch mehr, und ehe ich großartig darüber nachdenken kann, habe ich mit meinen Einkaufstüten bereits die Straßenseite gewechselt und laufe zum Hoteleingang, wo sich schon ein Grüppchen Schaulustiger versammelt hat, weil ich natürlich wissen möchte, was passiert ist.
Doch ich komme nicht dazu, mehr als nur einen Blick auf die Sanitäter und den Bestatter zu erhaschen, die in der Hotelhalle etwas ratlos herumstehen, denn der ältere Polizist, der vor mir steht, macht mir durch eine Geste unmissverständlich klar, dass ich hier nichts zu suchen habe. Seine beiden Kollegen verscheuchen gerade die anderen Schaulustigen, die sich teils diskutierend, teils kopfschüttelnd zurückziehen. Eine alte Frau, die etwas abseits steht, hält dem Polizisten, der nun auch auf sie zukommt, ihren Schirm entgegen und brabbelt irgendetwas von Polizisten, die lieber ihre Arbeit machen sollten, anstatt alte Frauen zu verscheuchen.
Da ich keine Lust habe, mir die Vermutungen der anderen anzuhören – gesehen hat wohl kaum einer was, nehme ich an – drehe ich mich um und gehe nach Hause. Auf dem Weg fasse ich zusammen, was ich gesehen habe: Einen Leichenwagen, also muss jemand gestorben sein. Die anwesende Polizei spricht dafür, dass es sich um keinen natürlichen Tod handelt, sonst hätte man wohl kaum alles abgesperrt. Das Hotel »Gabriel« gehört nicht gerade zu den modernen Hotels Frankfurts, sondern ist vielmehr eine Absteige, wo man ein Zimmer schon ab fünfzehn Euro bekommen kann und das viel von Strichern und deren Freier genutzt wird. Dementsprechend sieht das Hotel aus, innen wie außen, ich war noch nie drin, aber man hört ja doch so einiges.
Whatever, ich werde mich heute Abend wohl nach den Einzelheiten erkundigen und mir dann in aller Ruhe überlegen, ob und was ich diesbezüglich unternehme. Jetzt allerdings möchte ich meinem Körper erst einmal die Ruhe schenken, die er braucht.
2
Shahin
Es könnte eine Szene aus Berlin sein oder den Beginn dieses Abschnitts in meinem Leben perfekt umreißen. Ich werde wach, und es ist gerade noch hell draußen. Nur dass ich weder noch schnell einkaufen muss, noch auf dem Sprung bin zu einem Kunden. Ich arbeite nicht mehr als Hustler , und neben mir im Bett liegt Brix Mendelssohn, ein Mann, den ich mehr liebe als mich selbst, und das bedeutet etwas.
Ein Blick in sein schönes Gesicht zeigt mir, dass er noch selig schlummert, kein Wunder nach dieser Nacht, oder besser gesagt: nach diesem Morgen. Es ist Montag, gestern haben wir beide im »Addiction« gearbeitet, er als DJ, ich als Barkeeper.
Als wir im Morgengrauen dann endlich Feierabend hatten, sauber gemacht und abgerechnet war, sind wir gegen vier ins Bett gekommen und dann gegen halb
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