Caligula - Eine Biographie
Es hatte sich nach dem Tod eines jeden Kaisers zunächst zu erweisen, wer der politisch Mächtigste war und als solcher vom Militär zum neuen Kaiser ausgerufen und vom Senat bestätigt wurde. Dieskonnte im Ernstfall bedeuten, daß – wie nach dem Tod Neros im Jahre 68 oder dem des Commodus im Jahre 192 – ein neuer Bürgerkrieg ausbrach, bis geklärt war, wer die Stellung erfolgreich beanspruchen konnte. Im Normalfall lief es darauf hinaus, daß die Kaiser Vorsorge für den Fall ihres Ablebens trafen. Entscheidend aber war, daß sie bei ihrer Wahl eines Nachfolgers prinzipiell frei waren: Wer neuer Kaiser würde, war zunächst eine offene Frage.
Üblicherweise übertrugen sich im antiken Rom nicht nur das Familienvermögen, sondern auch die als «Freundschaft» bezeichneten Nahbeziehungen innerhalb der aristokratischen Gesellschaft sowie das politische Prestige, das der einzelne beim Volk von Rom und bei den römischen Soldaten des Reiches besaß, vom Vater auf den Sohn. Hatte der Kaiser einen Sohn oder adoptierte er einen, so war dieser daher automatisch zum Nachfolger prädestiniert. Auch Frauen, vor allem Kaiserinnen oder kaiserliche Töchter, konnten eine für die Nachfolge bestimmende Rolle spielen, wenn sie einen Sohn mit in die Ehe oder einen kaiserlichen Enkel zur Welt brachten. Die Folge war, daß die kaiserlichen Verwandtschaftsbeziehungen eine eminent politische Bedeutung bekamen, die die Position des aktuellen Kaisers nicht nur stützen, sondern auch destabilisieren konnten.
Augustus selbst besaß keinen Sohn, nur eine Tochter aus einer früheren Ehe mit Namen Iulia. Seine Frau Livia hatte ihrerseits zwei Söhne mit in die Ehe gebracht, Tiberius, den späteren Kaiser, und Drusus (I) den Älteren. Augustus wählte nun den naheliegenden Weg, die als Nachfolger vorgesehenen Personen – zunächst seinen Neffen Marcellus, dann, nach dessen frühem Tod, Marcus Agrippa, seinen wichtigsten Feldherrn und Mitarbeiter – jeweils mit seiner Tochter Iulia zu verheiraten. Als Agrippa 12 v. Chr. starb, wurden zwei von Augustus adoptierte Enkel aus dieser Ehe, Gaius und Lucius, zu Thronfolgekandidaten. Auch diese überlebte er jedoch, so daß schließlich sein Stiefsohn Tiberius ins Auge gefaßt wurde, der wiederum Iulia zu ehelichen hatte und dann tatsächlich sein Nachfolger wurde.
Nun hatte die augusteische Familienpolitik aber noch andere Thronaspiranten hervorgebracht: Seinen zweiten, 9 v. Chr. verstorbenen Stiefsohn Drusus hatte Augustus mit seiner NichteAntonia (II) Minor verheiratet. Die beiden aus dieser Ehe hervorgegangenen Söhne, Claudius, der spätere Kaiser, und Germanicus waren somit Großneffen des Kaisers. Während ersterer aufgrund körperlicher Behinderung zunächst unbeachtet blieb, war Germanicus mit der Älteren Agrippina, einer Enkelin des Augustus aus der Ehe von Iulia und Agrippa verheiratet worden. Aus deren Verbindung waren nun unter anderem drei Söhne, ein Nero – der nicht mit dem späteren Kaiser identisch ist –, ein Drusus (III) und: Caligula hervorgegangen. Sie alle waren beim Tod des Augustus noch im Kindesalter, kumulierten aber im Gegensatz zu Tiberius augusteisches Familienprestige, indem sie Urenkel und Großgroßneffen des ersten Kaisers waren. Augustus’ «Lösung» dieses Problems bestand darin, daß Tiberius den Germanicus adoptieren und damit den Urenkeln den Weg zum Kaisertum öffnen mußte. Völlig offen blieb dabei, was mit Tiberius’ eigenem Sohn, dem Jüngeren Drusus (II), und dessen Nachkommen passieren sollte. Offensichtlich wurde versucht, das Problem durch erneute Ehebeziehungen zwischen den verschiedenen Zweigen der Kaiserfamilie zu mildern. So heiratete der Jüngere Drusus eine Großnichte des Augustus (Livilla), deren Tochter wiederum einen Sohn des Germanicus (Nero). Schließlich gab es noch einen weiteren Enkel des Augustus aus der Ehe von Iulia und Agrippa mit Namen Agrippa Postumus, der aus unklaren Gründen in Ungnade gefallen war. Er wurde im Jahre 14 ermordet, ob noch auf Augustus’ eigene Initiative oder auf die der Livia oder des Tiberius blieb ebenfalls unklar.
Die komplizierten Familienverhältnisse, die nicht nur modernen Prosopographen, sondern auch schon Zeitgenossen Übersichtsprobleme bereitet haben dürften, indizieren ein zentrales Problem, das unmittelbar aus der augusteischen Prinzipatskonstruktion resultierte. Durch den Verzicht auf eine Erbmonarchie und eine damit verbundene rechtliche Klärung der Nachfolgefrage entwickelte sich
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