Cécile
Liebe, wenn überhaupt vorhanden, von ganz eigner Art sei. Jedenfalls wird sie dieser Art nicht froh, soviel steht fest, soviel seh ich. Und beinahe, wenn ich zurückdenke, hab ich ihr eigen Geständnis davon. Und kann es anders sein? Die Liebe lebt nicht von totgeschossenen Dzialinskis, vielleicht gerade davon am wenigsten, sie lebt von liebenswürdigen Kleinigkeiten, und wer sich eines Frauenherzens dauernd versichern will, der muß immer neu darum werben, der muß die Reihe der Aufmerksamkeiten allstündlich wie einen Rosenkranz abbeten. Und ist er fertig damit, so muß er von neuem anfangen. Immer dasein, immer sich betätigen, darauf kommt es an. Alles andere bedeutet nichts. Ein Armband zum Geburtstag, und wenn es ein Kohinur wäre, oder ein Nerz- oder Zobelpelz zu Weihnachten, das ist zuwenig für dreihundertfünfundsechzig Tage. Wozu läßt der Himmel soviel Blumen blühen? Wozu gibt es Radbouquets von Veilchen und Rosen? Wozu lebt Felix und Sarotti? So denkt jede junge Frau, wobei mir zu meinem Schrecken einfällt, daß ich
auch
ohne Bouquet und ohne Bonbonnière bin. Also nicht besser als St. Arnaud. Und er ist doch bloß ein Ehemann.«
Unter solchem Selbstgespräche war er bis an das Haus gekommen, dessen Tür sich im selben Augenblick öffnete, wie wenn sein Erscheinen von der Portierloge her bereits bemerkt worden wäre. Wirklich, ein kleines Mädchen sah neugierig durch das Guckfenster und schien auf seinen Gruß zu warten. Er nickte denn auch und stieg die Treppe hinauf.
Gleich auf dem ersten Absatz traf er den von Cécile kommenden Geheimrat. »Ah, Herr von Gordon«, grüßte dieser. »Les beaux esprits se rencontrent. Die Gnädigste fühlt sich unwohl; leider, oder auch nicht leider; je nachdem, wie man's nehmen will. Sie wissen, es ist ihr ewig Weh und Ach...«
Und er lachte, während er unter nochmaliger legerer Hutlüftung an Gordon vorüberging.
Dieser war von der Begegnung aufs unangenehmste berührt, und um so unangenehmer, als ihm an dem Diner-Tage nicht entgangen war, daß Cécile viel Entgegenkommen für ihren geheimrätlichen Tischnachbar gehabt hatte. Sein frivoler Witz machte sie lachen, und was seine kaum die nötigsten Schranken innehaltende Dreistigkeit anging, von der Rosa gesprochen hatte, so hatte Gordon gerade lange genug gelebt, um zu wissen, daß die Dreisten die Vorhand haben.
Und nun war er die Treppe hinauf und zog die Klingel.
»Die gnädige Frau wird sehr erfreut sein«, empfing ihn die Jungfer und meldete: »Herr von Gordon.«
»Ah, sehr willkommen.«
Cécile war wirklich leidend, hatte den Lieblingsplatz auf dem Balkon aber nicht aufgegeben. Die kleine Bank mit den zwei Kissen war fortgeräumt, und statt ihrer stand eine Chaiselongue da, darauf die Kranke ruhte, den Oberkörper mit einem Shawl, die Füße mit einer Reisedecke zugedeckt, in die das Wappen der St. Arnauds oder vielleicht auch das der Woronesch von Zacha eingestickt war. Auf einem Tischchen daneben stand ein phiolenartiges Fläschchen samt Wasser und Zuckerschale.
Gordon, als er sie so sah, war tief bewegt, vergaß alles und wollte Worte der Teilnahme sprechen. Sie ließ es aber nicht zu, nahm vielmehr ihrerseits das Wort und sagte, während sie sich mit Anstrengung an dem Rückenkissen höher hinaufrückte: »So spät erst. Ich habe Sie früher erwartet, Herr von Gordon... Hat unser kleines Diner so wenig Gnade vor Ihren Augen gefunden? Aber setzen Sie sich. Dort unten steht noch ein Stuhl. Werfen Sie das Tuch beiseit; oder nein, geben Sie's her, ich will es noch über den Shawl decken. Denn offen gestanden, mich friert.«
»Und doch haben Sie sich hier ins Freie gebettet, als ob wir Juli statt Oktober hätten.«
»Ja, der Geheimrat, der eben hier war, war derselben Meinung und tadelte mich, ja, drang in dem ihm eigenen Tone darauf, mich persönlich umbetten zu wollen.«
»Ein Ton, den ich höre. C'est le ton, qui fait la musique.«
»Freilich. Und bei niemandem mehr als bei dem Geheimrat. Und doch amüsiert er mich; ich gestehe es, wenn auch vielleicht wenig zu meinem Ruhme. Man hört soviel Langweiliges, und er ist immer so pikant. Aber warum ich hier in dieser Oktoberfrische liege, das macht, daß ich einfach keine Wahl habe. Denn laß ich mich in die Vorderzimmer bringen, so hab ich, so hoch sie sind, keine Luft, und so kommt es denn, daß ich das Frösteln und schlimmstenfalls selbst ein Erkältungsheber vorziehe. Von zwei Übeln wähle das kleinere. Nun aber fort mit dem ganzen Thema.
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