Goldfieber
ERSTES KAPITEL
Ergründe die Herzen
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Am späten Vormittag erreichen wir die Bucht, die ihr Entdecker Grijalva auf den Namen Puerto Deseado getauft hat: »Ersehnter Hafen«. Ich stehe auf dem Vorderdeck der Santa Maria , eingezwängt zwischen meinem Kameraden Diego und all den anderen, und mein Herz schlägt wild und hart.
Wir schreiben den 15. März im 1519. Jahr des Herrn. Jetzt erst – jetzt endlich! – fängt unser Abenteuer an.
Ich bin Orteguilla, der dritte Sohn des Hidalgo Gonzalo de Villafuerte, eines kleinadeligen Grundbesitzers aus der Estremadura. Mein ältester Bruder wird den Hof unseres Vaters erben, mein zweiter Bruder besucht die Universität in Sevilla und soll einmal Rechtsanwalt werden. Für mich bleibt nur die Hoffnung, hier drüben mein Glück zu machen – also Gold zu finden, genug Gold, dass ich mir eines Tages vielleicht eine Hazienda davon kaufen kann.
Zuerst und vor allem aber will ich Abenteuer erleben. Ich träume davon, das Reich der Amazonen zu entdecken. Schon die berühmten Reisenden des Altertums erzählen von ihnen und gewiss werden wir über kurz oder lang auf Ansiedlungen dieser kriegerischen Frauen und Mädchen stoßen.
Letzten Herbst bin ich aus Spanien nach Kuba gekommen, um Gott und dem König hier in der Neuen Welt zu dienen. In Santiagohabe ich als Hilfsschreiber bei einem Goldminenbesitzer gearbeitet, bis Cortés auf mich aufmerksam wurde und mich als Page in seine Dienste nahm. In jener Zeit habe ich gelernt, wie entsetzlich das Gold Menschen verändern kann. Wie sein gelber Glanz das Fieber der Begierde, ja des Wahnsinns in den Herzen stolzer Männer anzündet, die bis dahin besonnen und kaltblütig waren.
Die Bucht ist wie ein Halbmond geformt. Glitzernd weißer Strand, gesäumt von dichten Wäldern. Dahinter ragen wohl hundert Fuß hohe Felswände auf. Das Wasser ist türkisblau und durchsichtig bis zum Grund. Gewaltig große Fischschwärme fliehen vor unserer viermastigen Karavelle, die mit leichter Takelage in die Bucht hineinsegelt. Über uns kreisen Fischadler und Möwen und erfüllen die Luft mit ihrem Geschrei.
»Puerto Deseado«, sage ich zu Diego. »Der Name zeigt ja schon, wie verängstigt Juan de Grijalva gewesen sein muss.«
Er schaut mich verständnislos an. »Verängstigt, Orteguilla?«, fragt er. »Wieso das denn?«
»Durch feindselige Indianer natürlich – und ihre teuflischen Gebräuche«, antworte ich.
Diego ist erst vierzehn, zwei Jahre jünger als ich. Aber Hernán Cortés, der Anführer unserer Expedition, schätzt Kühnheit mehr als fast jede andere Eigenschaft. Also hat er Diego de Coria als zweiten Pagen neben mir in seine Dienste genommen – dabei hat Diego noch nicht einmal gelernt, das Schwert richtig zu führen. Doch er versteht es, in jeder Lage unerschütterlich Haltung zu bewahren. Außerdem besitzt er eine klare, fast rechteckige Handschrift, und wenn Cortés einen Schreiber für seine Berichte oder Briefe braucht, ruft er öfter nach Diego als nach mir.
Was mich betrifft, ich habe andere Stärken. So zumindest hat es mir unser Herr erst vor ein paar Tagen wieder erklärt: Die Menschen öffnen mir ihr Herz – dabei weiß ich selbst nicht recht, wie ich es anstelle, ihr Vertrauen zu gewinnen.
Diego zuckt mit den Schultern und schenkt mir ein spöttisches Grinsen. »Keine Ahnung, wovon du redest, Orte.«
Und doch kennt er die schauerlichen Geschichten genauso gut wie ich. Einige Männer, die schon letztes Jahr mit Grijalva bis hierher gekommen waren, schlossen sich, kaum nach Kuba zurückgekehrt, gleich wieder unserer Expedition an. Während der Tage auf dem Meer haben sie uns von den Teufelsaltären mit Überresten von Menschenopfern und vom unaufhörlichen Trommeln bei Nacht erzählt. Außerdem von gewissen »Spukerscheinungen«, die selbst hartgesottene Konquistadoren erzittern ließen – wandelnde Tote, die ihre Köpfe unter dem Arm trugen, und andere Schrecknisse mehr.
Natürlich ist auch Diego erschauert, als er diese Geschichten gehört hat. Aber er würde niemals zugeben, dass er Gefühle wie Angst und Verzagtheit aus eigener Erfahrung kennt. So wenig wie unser Vorbild, dem wir beide glühend nacheifern – Hernán Cortés. Selbst wenn uns die Sonne auf den Kopf fallen würde, unser verehrter Herr würde uns sogleich davon überzeugen, dass dieser Zwischenfall nichts an unseren Plänen ändert. Ja, er würde sogar die Sonne selbst dazu überreden, an ihren angestammten Platz zurückzukehren.
Hernán Cortés
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