Charles
heranfahrenden Wagen schneller geschlagen hatte. Ob David sie besucht hatte? All die Jahre hatte sie auf ihn gewartet, sich Hoffnungen gemacht und gelitten. Nun lag sie im Sterben, und Lanni wusste, warum. Die Ärzte behaupteten, es wäre ihr Herz, und in gewisser Weise hatten sie sogar Recht. Während der letzten zehn Jahre war Catherine einen langsamen Tod gestorben, weil sie im Leben keinen Sinn mehr gesehen hatte. Mit Davids Tod war auch ihre Hoffnung begraben worden, irgendwann wieder mit ihm zusammen zu sein.
Charles konnte sie, Lanni, nicht lieben, doch zwischen ihnen stand keine andere Frau. Er wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben, weil er seiner Familie gegenüber loyal war.
Im Gegensatz zu ihrer Großmutter war Lanni bereit, Hard Luck zu verlassen. Da sie allerdings nicht bereit war, sich für ihre Herkunft zu entschuldigen, würde sie hocherhobenen Hauptes weggehen.
Wenige Minuten später kam Duke und lud die Kartons in den Wagen. Nachdem sie die Papiere unterzeichnet und ihm die Adresse gegeben hatte, an die die Rechnung geschickt werden sollte, kehrte Lanni ins Haus zurück.
Am nächsten Morgen würde sie abreisen.
Als sie sich am Abend auf die Hollywoodschaukel auf der Veranda setzte, schien die Sonne, und es wehte eine sanfte Brise. Während sie den Duft der Tundra-Blumen einatmete, die diese mit sich brachte, schloss Lanni die Augen und dachte an das letzte Mal, als sie auf einer Schaukel gesessen hatte …
Obwohl sie die angenehme Stille genoss, die nur vom Zirpen der Grillen und vom Zwitschern der Vögel durchbrochen wurde, wusste sie, dass sie dadurch keinen Trost finden konnte.
Lanni konnte beim besten Willen nicht verstehen, dass ihre Großmutter weiterhin in Hard Luck gelebt und auf einen Mann gewartet hatte, der sie niemals geliebt hätte – jahrein, jahraus, bis sie alt und verbittert geworden war.
Lanni schloss gequält die Augen. Für sie waren die letzten Stunden, die sie in Hard Luck verbrachte, schon schlimm genug, aber Catherine hatte den Ort nie freiwillig verlassen wollen.
Plötzlich hörte Lanni Schritte. Als sie die Augen öffnete, stellte sie fest, dass Charles vor dem weißen Palisadenzaun stand, der das Grundstück ihrer Großmutter begrenzte. Sofort begann ihr Herz schneller zu schlagen.
Stand er tatsächlich da, oder war es nur ein Trugbild? War es ihrer Großmutter auch so ergangen? Hatte sie sich so verzweifelt nach David gesehnt, dass sie ihn in ihrer Fantasie heraufbeschworen hatte, so wie sie, Lanni, jetzt Charles vor sich stehen sah?
„Ich hätte nicht kommen sollen.“
Sie hatte es sich also nicht eingebildet. Es war tatsächlich Charles, und es war offensichtlich, dass er gar nicht hatte kommen wollen. Als sie ihn gequält ansah, wandte er sich ab.
Lanni sprang auf und eilte die Stufen hinunter. „Geh bitte nicht.“
Charles zögerte einen Moment.
„Komm, setzen wir uns.“ Sie zeigte auf die Hollywoodschaukel.
Als er näher kam, sah sie, welche inneren Kämpfe er mit sich ausfocht. Offenbar wusste er selbst nicht, warum er gekommen war, und betrachtete es als eine Schwäche. Wenn das der Fall war, war sie ebenfalls schwach.
Lanni ging wieder auf die Veranda und setzte sich so auf die Hollywoodschaukel, dass neben ihr noch Platz war.
Nun öffnete Charles die Gartenpforte und folgte ihr, blieb jedoch oben auf der Treppe stehen. Obwohl seine Miene ausdruckslos war, erkannte Lanni, dass er seine Gefühle unterdrückte.
„Ich bin meinem Vater ähnlicher, als ich dachte“, erklärte er rau. „Er konnte es auch nicht lassen.“
Sie wusste nicht, was er meinte, aber es spielte in diesem Moment ohnehin keine Rolle. Dies war ihr letzter Abend in Hard Luck, und Charles war bei ihr.
Wie gebannt betrachtete sie ihn. Der Ausdruck in seinen Augen und seine starre Haltung bewiesen ihr, dass er genauso verletzt war wie sie.
„Vor Jahren ist meine Mutter nach England zurückgekehrt“, fuhr er fort. „Sie hat Christian mitgenommen, und mein Vater war am Boden zerstört. Zuerst hat er Trost im Alkohol gesucht, aber es war bald vorbei, weil er einfach nicht der Typ war, der sich sinnlos betrinkt.“
Er machte eine Pause und fuhr sich über den Nacken. „Später hat er Trost bei Catherine gesucht.“
Wenn das stimmte, dann verstand Lanni nicht, warum Charles ihre Großmutter derart hasste. Sie wusste nicht, ob sie entsetzt oder erfreut darüber sein sollte, dass Catherine doch etwas Zeit mit dem Mann verbracht hatte, den sie so geliebt hatte.
„Dad
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