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Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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fort«, jammerte Oslak, »und ich bin nur noch ein Geist! Komm, Dari! Der Fluss ruft uns!«
    Erst zögerte der Kleine, dann drückte er sein Spielzeug an sich und tapste weiter.
    Torak schielte zu Fin-Kedinn hinüber.
    Der Anführer verzog keine Miene, suchte nur Toraks Blick und legte den Finger auf den Mund. Du stehst zwischen den beiden und den Stromschnellen, du fängst sie ab .
    Torak nickte und sammelte Kraft. Seine Füße waren im eisigen Wasser taub geworden. Seine Arme zitterten.
    Jetzt war Dari bei Oslak angekommen. Der Hüne warf seinen Speer weg und hob den Kleinen hoch. Der Steg hing bedenklich durch.
    »Oslak!«, rief Fin-Kedinn ihn an. Er sprach nicht besonders laut, aber er machte sich trotz der tosenden Stromschnellen verständlich. »Komm wieder ans Ufer.«
    »Geh weg!«, brüllte Oslak.
    Entsetzt sah Torak, dass Oslak ein Rindenseil um die beiden Pfähle am Ende des Stegs geschlungen hatte. Ein kräftiger Ruck und das ganze Gebilde würde in sich zusammenfallen und ihn und Dari mit sich reißen.
    Torak hielt es nicht mehr aus. »Ich bin’s, Oslak, Torak! Tu’s nicht!«
    Oslak fuhr herum. »Willst du mir etwa sagen, was ich zu tun habe? Du gehörst nicht zu uns. Du bist ein Kuckuckskind! Du futterst uns das Essen weg, machst dich in meiner Hütte breit! Du glaubst wohl, ich hätte nicht gemerkt, dass du dich heimlich in den Wald schleichst und nach deinem Wolf heulst! Wir haben’s alle gehört. Finde dich endlich damit ab – der kommt nicht mehr zurück!«
    Renn zuckte stellvertretend für Torak zusammen, doch der Junge ging nicht auf die Kränkung ein, denn er sah, was Oslak nicht sehen konnte: Fin-Kedinn erklomm humpelnd den Steg.
    Oslak geriet ins Schwanken und mit ihm die ganze Konstruktion.
    Dari verzog den Mund und heulte los.
    Fin-Kedinn hielt sich aufrecht. »Oslak!«
    Oslak wich schlingernd zurück. »Lass mich in Ruhe!«
    Fin-Kedinn hob beschwichtigend die Hände, dann hockte er sich mit gekreuzten Beinen hin. Vom Ufer aus sah die Sippe in gespanntem Schweigen zu. Es waren ganze sechs Schritt bis dorthin, und wenn Oslak am Seil zog, brach der Steg zusammen, aber der Anführer der Raben wirkte so gelassen, als säße er am Langfeuer. »Wie du weißt, hat mich die Sippe zum Anführer bestimmt, damit ich Acht gebe, dass keinem von uns etwas zustößt…«, hob er an.
    Oslak fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
    »Nichts anderes habe ich vor«, fuhr Fin-Kedinn fort. »Ich gebe Acht, dass dir nichts zustößt. Aber vorher musst du Dari absetzen. Gib ihn mir. Ich bringe ihn seiner Mutter.«
    Oslaks Gesicht war ganz eingefallen.
    »Lass ihn herunter«, wiederholte Fin-Kedinn. »Er braucht sein Nachtmahl.«
    Kraft seiner Stimme bezwang er den anderen. Behutsam löste Oslak die Ärmchen des Kleinen von seinem Hals und setzte ihn ab.
    Dari blickte noch einmal, wie um Erlaubnis bittend, zu ihm auf, dann ließ er ihn stehen und krabbelte zu Fin-Kedinn hinüber.
    Der Anführer verlagerte sein Gewicht auf ein Knie und streckte die Arme aus.
    Das geschnitzte Spielzeug entfiel Daris Faust und plumpste ins Wasser. Der Kleine kreischte auf und griff danach. Fin-Kedinn packte ihn am Wams und riss ihn an sich.
    Die Zuschauer am Ufer atmeten auf.
    Torak hatte weiche Knie. Er beobachtete, wie der Anführer aufstand und im Seitwärtsgang mit dem Kind den Steg verließ.
    Im seichten Wasser packte Thull seinen Sohn und drückte ihn an die Brust.
    Oslak stand wie ein verdutzter Auerochse da. Er blickte ins schäumende Wasser und das Seil glitt ihm aus der Hand. Fin-Kedinn ging zu ihm zurück, fasste ihn bei den Schultern und sprach so leise auf ihn ein, dass die anderen nichts verstehen konnten. Oslak ließ sich mit hängenden Schultern widerstandslos ans Ufer führen, wo ihn die Männer packten und zu Boden zwangen. Er machte einen verwirrten Eindruck, als wüsste er nicht, wie ihm geschah.
    Torak balancierte zurück ins Flache und ließ seinen Speer in den Ufersand fallen. Er zitterte.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, erkundigte sich Renn. Ihr dunkles Haar war feucht von Gischt, und sie war so blass, dass sich die drei Streifen ihrer Clantätowierung überdeutlich von ihren Wangen abhoben.
    Obwohl er wusste, dass sie ihn durchschaute, nickte Torak.
    Weiter oben am Ufer beriet sich Fin-Kedinn mit Saeunn, die von ihrem Felsen herabgekommen war. »Was hat er bloß?«, fragte er die Schamanin, als sich die übrigen Sippenmitglieder um sie geschart hatten.
    Die Alte wiegte den Kopf. »Seine Seelen kämpfen

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