Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
besonders schön zur Geltung brachte oder dass sie Rosarot tragen sollte, damit ihre Wangen mehr Farbe bekamen. Während die Schneiderin ihre Maße nahm, inmitten einer angeregten Plauderei um Futteralstoffe, eng anliegende Oberteile und einen Modeschöpfer namens Charles Worth, stand Tessa da und starrte auf ihr Spiegelbild. Fast erwartete sie, ihre Züge verschwimmen und sich verändern zu sehen, bis die Verwandlung komplett war. Doch sie blieb sie selbst und am Ende der lebhaften Diskussion waren vier neue Kleider für sie in Auftrag gegeben, die ein paar Tage später geliefert werden sollten: eine rosafarbene Robe, ein gelbes Kleid, ein blauweiß gestreiftes Ensemble mit Elfenbeinknöpfen und eines aus goldener und schwarzer Seide. Dazu kamen noch zwei elegante Jacken, von denen eine perlenbestickte Tüllmanschetten besaß.
»Ich vermute, dass Sie in der letzten Aufmachung sogar ganz passabel aussehen werden«, sagte Jessamine, als sie wieder in die Kutsche stiegen. »Es ist doch erstaunlich, was Mode alles bewirken kann.«
Tessa zählte schweigend bis zehn, ehe sie antwortete: »Ich bin Ihnen wirklich zu großem Dank verpflichtet, Jessamine. Sollen wir nun ins Institut zurückkehren?«
Bei dieser Frage huschte ein finsterer Schatten über Jessamines Gesicht. Sie hasst das Institut aus ganzem Herzen, dachte Tessa, vollkommen verwirrt. Aber was war denn so schlimm an dieser Institution? Natürlich konnte einem der Grund für seine Existenz, seine schiere Daseinsberechtigung, schon einiges an Kopfzerbrechen bereiten, aber daran musste Jessamine sich inzwischen doch gewöhnt haben. Schließlich war sie eine Schattenjägerin, genau wie die anderen.
»Es ist solch ein schöner Tag und Sie haben noch gar nichts von London gesehen«, sagte Jessamine. »Ich denke, ein Spaziergang im Hydepark wäre jetzt angebracht. Und danach könnten wir zum Berkeley Square fahren und Thomas könnte uns bei Gunter's Tea Shop ein erfrischendes Eis besorgen!«
Tessa schaute aus dem Fenster. Das Wetter war grau und diesig und ab und zu riss ein heftiger Windstoß die Wolkendecke auseinander, unter der ein kleines Fleckchen blauer Himmel zum Vorschein kam. Kein Mensch in New York hätte diesen Tag als schön bezeichnet, aber in London schienen andere Wettermaßstäbe zu gelten. Außerdem war sie Jessamine einen Gefallen schuldig und offensichtlich wollte das Mädchen unter keinen Umständen nach Hause zurückkehren. »Ich liebe Parks«, sagte Tessa schließlich.
Fast schlich sich ein Lächeln auf Jessamines Gesicht.
»Du hast Miss Gray nichts von den Zahnrädern erzählt«, stellte Henry fest.
Charlotte schaute von ihren Notizen auf und seufzte. Es hatte sie immer sehr geschmerzt, dass der Rat, trotz ihrer zahlreichen Bitten, dem Institut keine zweite Kutsche bewilligte. Natürlich war ihre jetzige Kutsche von herausragender Güte und Thomas ein ausgezeichneter Kutscher. Aber wenn die Wege der verschiedenen Schattenjäger in unterschiedliche Richtungen führten, so wie heute, bedeutete dies, dass Charlotte gezwungen war, sich ein Gefährt von Benedict Lightwood zu leihen, der nicht unbedingt zu ihren Busenfreunden zählte. Und die einzige Kutsche, die er ihr widerstrebend zur Verfügung stellte, war klein und unbequem. Armer Henry, dachte Charlotte. Er war so groß, dass er mit dem Kopf ständig gegen die niedrige Decke der Kutsche stieß.
»Nein, ich habe es nicht erwähnt«, bestätigte sie nun. »Das arme Mädchen erschien mir auch so bereits überfordert genug. Ich konnte ihr doch unmöglich sagen, dass die mechanischen Teile, die wir im Keller des Dunklen Hauses gefunden haben, ausgerechnet von der Firma gefertigt worden sind, bei der ihr Bruder angestellt war. Sie sorgt sich schon genug um ihn. Diese weitere Information schien mir mehr zu sein, als sie hätte verkraften können.«
»Möglicherweise hat das gar nichts zu bedeuten«, wandte Henry ein. »Mortmain & Company fertigt die meisten Werkzeuge und Maschinenteile, die in England Verwendung finden. Mortmain ist wirklich eine Art Genie. Sein patentiertes System zur Herstellung von Kugellagern ...«
»Jaja.« Charlotte bemühte sich, die Ungeduld in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Vermutlich hätten wir es ihr sagen sollen. Aber ich hielt es für das Beste, zunächst einmal mit Mr Mortmain zu sprechen und weitere Informationen einzuholen. Natürlich hast du recht: Möglicherweise weiß er überhaupt nichts und zwischen ihm und den Funden im Keller besteht nicht der
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