Code Freebird (German Edition)
zur Veranschaulichung eine Familie vor dem Fernseher vor. Sie alle zeigten das gleiche Verhalten, sie sahen dieselbe Sendung. Zum Beispiel die Nachrichten. Während der Mann an den weltwirtschaftlichen Veränderungen interessiert war, schenkte die Mutter mehr Aufmerksamkeit den sozialen Themen. Die sechzehnjährige Tochter wiederum bekam glasige Augen, als sich Brad Pitt von seiner Verlobten trennte, und der zwölfjährige Bruder erkannte in der neuen Spielkonsole sein nächstes Geburtstagsgeschenk. Ein und dasselbe Verhalten, aber unterschiedliche Bedürfnisse.
Erkannte Levy das Bedürfnis, wer interessierte sich zum Beispiel für soziale Themen, dann konnte er sich auf eine ganz bestimmte Person konzentrieren und die anderen ausschließen.
Nicht das Verhalten, sondern das Bedürfnis bestimmte den Menschen. Er strebt danach, es zu stillen, trifft Entscheidungen und zeigt dadurch ein Verhalten, das erneut auf ihn zeigt.
Das war die Theorie einer noch jungen Wissenschaft.
Die Praxis gestaltete sich weitaus schwieriger. Die Menschen waren über eine einzigartige Ausweis- oder Telefonnummer in den Registern erfasst, jedoch nicht über ihre Bedürfnisse zum Beispiel nach Sicherheit oder persönlicher Entfaltung.
Den Weg aus der Misere wies die Statistik, besser noch, die bisher erhobenen, ausgewerteten, vergleichbaren Fälle.
Zu definieren hieß zu vergleichen. Welcher der bisher befragten Bombenbauer zeigte ein ähnliches, vielleicht gleiches Verhalten auf wie ihr gesuchter Mann? Fußten ihre Entscheidungen auf dem gleichen Bedürfnis?
Wenn ja, dann konnte man eine vorsichtige Silhouette entwerfen. Mehr nicht. Eine absolute Übereinstimmung gab es nicht.
Ein psychologisches Fahndungsfoto würde aber vollauf genügen. Alles Weitere war Aufgabe der Ermittlungsbehörden, er hätte seinen Job gemacht.
Levy hatte in den letzten Stunden alle Fälle verglichen, die ihm Michaelis zur Verfügung gestellt hatte. Hin und wieder gab es Übereinstimmungen in diesem und jenem Detail. Sicher, die Grundhaltung war bei vielen Bombenbauern ähnlich. Alle wiesen eine Störung in ihrer Persönlichkeit auf, wenn sie nicht gerade zu den schizoiden oder paranoiden Geisteskranken zählten. Wer sonst könnte mit einer derart fürchterlichen Waffe menschliches Leben auslöschen – wiederholt, ohne Anzeichen der Reue?
Es gab die Impulsiven, Erregbaren, die unversehens Dampf abließen, dann die Dissozialen, die unter fremder Führerschaft standen, so auch die Zwanghaften und die Narzisstischen und schließlich die Mischformen – Menschen, die unter zwei oder mehreren Persönlichkeitsstörungen gleichzeitig litten.
Das war ein Knäuel, das nur schwer zu entwirren war. Und selbst wenn, auf wie viele Menschen würden die ermittelten Kriterien zutreffen? Wie viele von ihnen waren aktenkundig geworden, wie viele liefen noch unentdeckt herum, und welche standen kurz davor?
Wer ohne Trieb ist, werfe den ersten Stein, hörte Levy sich denken. Wäre auch er imstande, die Rolle eines Kain zu übernehmen?
Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wer weiß das schon, wenn er nicht in der dafür notwendigen, einer auslösenden Situation ist? Auch Kain tötete erst, nachdem er die vermutete Zurückweisung Gottes nicht länger ertragen konnte.
Doch um einen Mord im Sinne der vorliegenden Fälle zu begehen, müsste er die Keule gegen eine Bombe austauschen. Das war eine weitaus schwierigere Waffe. Kenntnisse in Chemie und Physik waren dazu notwendig, ansonsten ging man einen selbstmörderischen Weg. Die Mutter des Satans ließ nicht mit sich scherzen. Sie verzieh keinen Fehler oder nur eine Unaufmerksamkeit. Insoweit hatte diese Bombe mit Frauen etwas gemein: Man musste vorsichtig, erfahren und beständig mit ihnen umgehen, damit sie einem nicht den Kopf von den Schultern rissen.
Verletzte Eitelkeit. Konnte das ein Motiv für die Bombenanschläge gewesen sein?
Das Bedürfnis wäre dann das Streben nach Größe, Wertschätzung oder zumindest Akzeptanz gewesen.
Insoweit verwies die Urheberschaft wieder auf eine arabische Hand. Doch konnte er zum arabischen Selbstverständnis überhaupt etwas sagen? Er konnte nur die gleichen Klischees bemühen, die allseits kolportiert wurden. Erfahrungen aus erster Hand hatte er nicht.
Die Berichte, die aus London, Madrid und Istanbul im Umlauf waren, kannte er. Doch was sagten sie eigentlich über die Bombenleger und -bauer aus? Waren es überhaupt dieselben Gruppen, die unter einer geistigen Führerschaft standen,
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