Codename Sparta 03 - Das Mars-Labyrinth
hatte. Die Daten starrten ihm ins Gesicht. Die Tatsachen sprachen für sich, lediglich die entscheidenden Verbindungen fehlten. Mit Beweismaterial kannte Chin sich gut genug aus, um zu wissen, was man vor Gericht oder für einen Verwaltungsbeschluß brauchte. Die vorliegenden Papiere reichten für beides nicht aus. Aber es gab noch andere Wege der Gerechtigkeit.
Vor Jahren, kurz nachdem er auf dem Mars angekommen war, hatte Chin sich wie viele andere Neulinge einen Arbeitsvertrag ergaunern können. Damals war Lab City kleiner und rauher gewesen, kaum mehr als eine Baustelle. Nicht, daß das gleiche heute nicht mehr passieren könnte – damals jedenfalls hatte ihm ein billiger Shuttleportanwalt einen Tip gegeben.
»Versuchen Sie gar nicht erst, mich von Ihrem Recht zu überzeugen. Das gestehe ich Ihnen ohne jede Diskussion zu«, hatte der Anwalt gesagt, »aber einen Beschluß zu erlangen, besonders einen, auf den man sich berufen kann, ist ganz etwas anderes. Also, wie weit wären Sie bereit zu gehen?«
»Wie meinen Sie das?«
»Daß man Sie für verrückt hält?«
»Verrückt!«
»Verrückt genug, jemanden zusammenzuschlagen, etwas abzubrennen oder eine teure Ausrüstung unbrauchbar zu machen. Verstehen Sie, worauf ich hinaus will?«
Wie sich später zu Dare Chins Freude und Erbauung herausstellte, war es weder nötig zu klagen, noch seine Drohungen wahr zu machen – offenbar war er bereit gewesen, weit genug zu gehen. Als Verwaltungsmensch hatte er dieses halblegale Vorgehen inzwischen kennengelernt, man nannte es den ›persönlichen Dreh‹.
Es war an der Zeit, diese Methode bei Dewdney Morland anzuwenden. Chin verließ sein Büro und nahm die Treppe ins Erdgeschoß.
Morland stand in der Mitte des Raumes unter der Kuppel über seine Instrumente gebeugt. Er hatte Chin den Rücken zugedreht. Arbeitslichter auf Dreifüßen und Spots umgaben die marsianische Platte und Morland mit einem Kreis aus grellem, weißem Licht. Dr. Dewdney Morland war vor einer Woche auf dem Mars eingetroffen, nachdem man ihm vom Kulturausschuß des Weltenrates die Erlaubnis erteilt hatte. An den vergangenen zwei Abenden hatte Morland nach dem Schließen der Halle seine Gerätschaften aufgebaut und bis zur Morgendämmerung gearbeitet. Er mußte nachts arbeiten, weil seine optischen Geräte bereits auf die kleinsten Erschütterungen reagierten, Schritte zum Beispiel –
»Was zum Teufel soll das?«
– deren Vibration Morland jetzt aufsehen und ärgerlich herumwirbeln ließen.
»Siel Sehen Sie, was Sie angerichtet haben, Chin! 20 Minuten meiner Aufzeichnungen sind ruiniert!«
Als Antwort blickte Chin ihn nur widerwillig, fast schon verächtlich an.
Morland war eine ungepflegte Erscheinung mit teigiger Gesichtsfarbe, einem ungleichmäßigen Bart und fettigen, blonden Haaren, die er seit einigen Monaten nicht mehr geschnitten hatte. Einige Strähnen kräuselten sich über dem Kragen seiner teuren Tweedjacke, die schon lange jegliche Form verloren hatte. In den ausgebeulten Taschen befanden sich, wie Chin wußte, eine Pfeife und ein Beutel Feinschnittabak. Für Menschen, die in einer kontrollierten Umwelt lebten, waren dies Utensilien einer Angewohnheit, die sie nicht nur anstößig, sondern überaus wunderlich fanden.
»Erst stapft diese Kuh hier durch, und jetzt Sie!« kreischte Morland. »Was muß ich Ihnen noch erzählen, damit es in Ihren Provinzschädel dringt? Ich brauche absolute Stille!«
Auf dem Boden neben Morlands Stuhl bemerkte Chin einen offenen Aktenkoffer. Soweit Chin erkennen konnte, enthielt er ein paar Faxkopien und die Überreste einer Fertigmahlzeit. »Würden Sie bitte zur Seite gehen, Mr. Morland?«
»Was haben Sie gesagt?«
»Bitte gehen Sie zur Seite.«
»Hören Sie, wollen Sie etwa, daß ich Sie per Gerichtsbeschluß aus diesen Räumlichkeiten verbannen lasse, während ich hier arbeite? Das geht sehr schnell, verlassen Sie sich darauf. Das Gebäude des Weltenrates ist nur ein paar Schritte entfernt.«
Chin beugte sich vor, und sein Blick verfinsterte sich. »Bewegen Sie sich, Fettsack«, brüllte er, »bevor ich Ihr dämliches Gesicht einschlage!«
Der mörderische Tobsuchtsanfall überzeugte offenbar, denn Morland wich zurück. »Das ist … Ich … Das werde ich morgen dem Ausschuß melden«, keuchte er, während er sich rasch von dem Schaukasten entfernte. »Das wird Ihnen noch leid tun, Chin …«
Chin ignorierte ihn und trat vor, um die Tafel zu begutachten. Sie lag auf einem roten Samtkissen
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