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Columbus war ein Englaender

Columbus war ein Englaender

Titel: Columbus war ein Englaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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ich mit meinem Zynismus, meiner Arroganz und meinem Stolz erstickte; ich beleidigte und verletzte meinen Bruder wie auch jeden anderen Menschen in meiner Nähe. Ich war das größte Arschloch auf Erden, voller Selbstekel und Weltekel.
    Ich vermißte Matthew, ich wollte ihn und wußte, er war nicht mehr. Die Tatsache, daß er im buchstäblichen Sinne nicht mehr existierte, war das eigentliche Desaster, der schier unerträgliche Wahnsinn, der mir den Rest gab. Mein Matthew war verschwunden, es gab keinen Matteo mehr.
    Im Schulmagazin in Rogers Schlafzimmer entdeckte ich Matthews Gesicht auf einem Foto der Cricket-Mannschaft, des Hockey-Teams und bei einer Aufführung der Schulbühne. Drei Beweisstücke, die unwiderruflich zeigten, daß er nicht mehr existierte. Seine Gesichtszüge waren kantiger und sein Körper größer, kräftiger und stämmiger geworden. Er befand sich auf dem Abstieg vom Zenith, auf den er sich inder Zeit, in der ich ihn kannte, in atemberaubender Weise immer weiter zubewegt hatte. Vielleicht war es jener Spätnachmittag auf dem Feld hinter der Middle gewesen, als er im Cricket-Dress schnaubend mit mir durchs Gras gerollt war und wir es uns wüst besorgt hatten. Vielleicht war das der Höhepunkt gewesen. Für beide von uns.
    Der Matthew, der mir wirklich etwas bedeutet hatte, existierte jetzt nur noch in meinem Kopf. Was mir nichts weiter ließ als eine schwärende Wunde voller Bitterkeit, Enttäuschung und Haß sowie einen abgrundtiefen Ekel vor mir selbst und der Welt.
    Insofern hätte mich jeder beliebige Streit mit meinem Vater zu dieser geste fou drängen können. Egal, ob es um meine Weigerung ging, das Wasser im Hof zu pumpen, oder um ein ernstes Gespräch über die »richtige Einstellung«.
    Ich erinnere mich noch, wie ich mit erstickten Tränen und einem rasenden Zorn auf die völlige Gleichgültigkeit der Natur und der Welt über den Tod der Liebe, den Tod der Hoffnung und den Tod der Schönheit auf der Bettkante hockte, die Pillen und Kapseln zusammenschüttete und mir den Kopf zermarterte, warum, warum in aller Welt es sein konnte, daß ich soviel Liebe zu verschenken hatte, meinen überquellenden Reichtum an Liebe und Energie mit der Welt teilen wollte, und doch unfähig war, Liebe zu empfangen, zu geben oder die Energie herauszulassen, von der ich wußte, mit ihr mich selbst wie auch alles um mich herum verwandeln zu können.
    »Wenn sie nur wüßten!« schrie ich im stillen. »Wenn sie nur wüßten, wie es in mir aussieht. Wieviel ich zu geben habe, was ich zu sagen habe, was ich in mir habe. Wenn sie es doch nur wüßten !«
    Wieder und wieder legte ich die Hand auf meine Brust, um unter dem asthmatischen Zittern den Motor von Herz, Lungen und Blutkreislauf zu spüren und über die gewaltige Kraft zu staunen, die da in mir steckte. Keine magische Kraft, nicht diesen pubertären telekinetischen Carrie-Hokuspokus,sondern echte Kraft. Die Kraft, weiterzumachen und auszuharren, die schon großartig genug ist, doch dazu verspürte ich auch noch die Kraft, zu erschaffen , hinzuzufügen , zu beglücken , zu überraschen und zu verändern . Trotz allem war ich unerwünscht, wurde zurückgestoßen und von niemandem beachtet. Ja doch, meine Mutter glaubte an mich, aber das tun alle Mütter. Darüber hinaus glaubte niemand an mich.
    Vor allem nicht – wie klar erscheint einem das heute – ich selbst. Ich selbst glaubte am allerwenigsten an mich. Ich glaubte mehr an Gespenster als an mich , wobei ich versichern kann, nie viel für Gespenster übrig gehabt zu haben, weil ich viel zu spirituell, emotional und leidenschaftlich bin, um dem Übernatürlichen Glauben zu schenken.
    Gleichwohl hatte ich einen Freund. Einen einzigen. Und zwar den Gemeindepfarrer: Seltsamerweise war er Karras aus dem Exorzisten wie aus dem Gesicht geschnitten, hatte allerdings genügend eigene Seelenprobleme und lag mit seinem Glauben, seiner Familie und seiner Identität so sehr im argen, daß die Devise in seinem Fall eher lautete, Arzt, heile dich selbst. Er half mir dadurch, daß er mich bat, seinen Töchtern Nachhilfeunterricht in Mathematik zu geben, was psychologisch geschickt und überaus anrührend war. Er wußte, welche Kämpfe ich mit dem Fach ausgestanden hatte, und er wußte auch, daß ein Lehrer in mir steckte, der sich nach einer Aufgabe sehnte. Beinahe hätte er mich zur Religion bekehrt (allerdings unabsichtlich, da er alles andere als ein Missionar war), und ich hatte sogar dem Bischof von Lynn,

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