Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
ausgedrückt.
«Den
Umständen entsprechend», sagte Tron. Er ließ die
letzte Kirsche in seinem Mund verschwinden, und seine Artikulation
wurde ein wenig undeutlich. «Der Oberst hat viel Blut
verloren. Die Klinge hat das Herz nur knapp verfehlt. Ein
Lungenflügel ist verletzt, aber er meint, er hätte
Schlimmeres erlebt. Er war bei Solferino dabei.»
«Also wird er es
überleben?»
Tron nickte.
«Stumm rechnet damit, in einer Woche entlassen zu
werden.»
Er beugte sich
über den Tisch, und einen Moment lang sah er sein Spiegelbild
in der silbernen Haube über den Cailles
rôties, den gebratenen Wachteln —
verzerrt, aber erkennbar. Heute Morgen war der Verband an seiner
linken Schläfe durch eine Art Pflaster ersetzt worden, und er
fand, dass er weniger heldenhaft aussah als noch gestern auf dem
Ball — eher wie jemand, der sich bei einer häuslichen
Reparatur den Kopf gestoßen hatte.
Die Aufräumarbeiten, wie die Contessa sich
ausdrückte, hatten sich bis weit nach Mitternacht hingezogen.
Daran war nicht zuletzt das überraschende Auftauchen der
Militärpolizei schuld gewesen, die darauf bestanden hatte, die
Ermittlungen unverzüglich zu übernehmen. Das hatte ein
hässliches Wortgefecht zwischen drei Oberleutnants und dem
Polizeipräsidenten ergeben, der nicht einsehen wollte, dass
seine Autorität durch die schräg geschminkten Augen und
das knallige Rouge auf den Wangen beeinträchtigt war. Spaur
war nicht amüsiert gewesen.
Und die Gäste?
Wie hatten sie auf das abrupte Ende des Balles reagiert? Tron hatte
nicht den Eindruck, dass sie enttäuscht gewesen waren —
ganz im Gegenteil. Das Stück, das vor ihnen aufgeführt
worden war, hätte kaum aufregender sein können. Dass der
Held des Dramas schlicht und einfach Glück gehabt hatte,
wussten sie nicht. Tron hatte den Umstand, dass seine Augen
geschlossen gewesen waren, als der Schuss fiel, niemandem
gegenüber erwähnt. Ob Bossi es bemerkt hatte? Tron
glaubte es nicht. Es war alles viel zu schnell gegangen und schon
vorbei gewesen, als die Zuschauer begriffen hatten, was sich da vor
ihren Augen abspielte.
Nur wenige Minuten
nachdem der Schuss gefallen war, hatte Tron vom Orchesterpodium
herab das Ende des Balles verkündet. Als der Applaus der
Gäste kein Ende nahm und ihn die Damen, wie nach einer
gelungenen Premiere im Malibran, mit Blumensträußchen
bombardierten, musste er sich mehrmals verbeugen. Schließlich
hatte er sich umgedreht und den Kapellmeister gebeten, das Requiem
von Scarlatti zu spielen, zu dessen Klängen die Gäste
langsam aus dem Ballsaal geströmt waren. Ein angemessenes
Ende, fand Tron. Jedenfalls würde man den Ball der Contessa
Tron als den Höhepunkt der diesjährigen Saison im
Gedächtnis behalten.
«Und der Comte
de Chambord?», wollte die Principessa jetzt wissen.
«Wie geht es dem?»
«Der hütet
ebenfalls das Bett», sagte Tron. «Aber er wird es
überleben. Übrigens», fügte er hinzu,
«hatte der Pater am Sonntag vor drei Wochen etwas für
ihn in Verona erledigt und ist dann mit dem Nachtzug
zurückgekommen. Da traf er auf sein erstes Opfer - auf die
Frau, die ein paar Tage später an den Fondamenta degli
Incurabili gefunden wurde. Es passt also alles
zusammen.»
«Was genau ist
im Palazzo Cavalli passiert?»
«Pater Francesco
hat den Comte niedergeschlagen, als der sich gerade für den
Ball maskieren wollte. Dann hat er ihn geknebelt und unter das Bett
gerollt.»
«Weil Pater
Francesco die schriftliche Einladung für den Ball
brauchte?»
Tron nickte.
«Sie haben den Comte de Chambord erst heute Morgen unter dem
Bett entdeckt. Außer einer Platzwunde am Kopf hat er keine
größeren Verletzungen davongetragen.»
«Ich habe immer
noch nicht ganz verstanden, warum Pater Francesco den Oberst
töten wollte.»
«Er musste ihn
töten, weil der Oberst Bescheid wusste», sagte Tron. Er
ließ den großen Servierlöffel, mit dem er sich
eine neue Portion auf den Teller häufen wollte, einen Moment
lang in der Schwebe. «Pater Francesco ist vor zwei Jahren in
Verona in eine unappetitliche Geschichte mit einer Prostituierten
verwickelt gewesen, die auch einen Offizier betraf. Deshalb hat
damals die Militärpolizei ermittelt. Sie hatten also im
Hauptquartier eine Akte über den Pater. Als er hier als
Beichtvater und Hauskaplan des Comtes de Chambord aufgetaucht ist,
hat man ihn gebeten, hin und wieder einen Bericht über die
Aktivitäten des Comtes abzuliefern.»
«Du meinst, sie
haben ihn mit der Geschichte in Verona
Weitere Kostenlose Bücher