Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Titel: Commissario Tron 5: Requiem am Rialto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
Vom Netzwerk:
setzte zu einem
Protest an, schwieg dann aber, als Tron die Hand hob.
    «Halten Sie ihn
am Lauf, Ispettore», sagte der Mann zu Bossi. «Mit zwei
spitzen Fingern. So wie man eine tote Ratte am Schwanz
anfasst.»
    Bossi steckte die
rechte Hand unter seine Krinoline, zog seinen Revolver hervor, den
er dann mit zwei Fingern seiner linken Hand am Lauf
anfasste.
    «Geben Sie die
Waffe an den Commissario weiter», sagte der Mann. «Der
wird sie in der gleichen Weise zwischen die Finger nehmen. Und Sie,
Commissario, werden den Revolver dann auf den Tisch an meiner
rechten Seite legen. Ich nehme an», setzte er noch hinzu,
«die Waffe ist geladen.»
    «Meine
Dienstwaffe ist immer geladen», sagte Bossi.
    «Dann legen Sie,
Commissario, die Waffe auf den Tisch und klappen Sie sie auf. In
dieser Reihenfolge. Ich möchte die Patronen in der Trommel
sehen. Danach klappen Sie den Revolver wieder zu und treten ins
Glied zurück.»
    Tron sah, wie Bossi
ihm die Waffe, sie zwischen Daumen und Zeigefinger haltend,
entgegenstreckte. Er ergriff den Revolver ebenfalls mit zwei
Fingern. Es war tatsächlich so, als würden zwei Jungen
sich eine tote Ratte übergeben.
    Ungefähr
fünfzig Augenpaare verfolgten die Übergabe der Waffe mit
angehaltenem Atem. Aus den Augenwinkeln sah Tron in der ersten
Reihe die Contessa und die Principessa. Die Contessa presste sich
ein Taschentuch vor den Mund, die Principessa hatte den
skeptischen, kühlen Gesichtsausdruck, den sie immer in
prekären Situationen aufsetzte. An ihrer Seite stand, mit
hochrotem Kopf und schwer atmend, Spaur, neben diesem mit
trichterförmig geöffnetem Mund Signorina Violetta. Der
Rest der Gesellschaft schien die Angelegenheit als interessantes
Spektakel zu betrachten. Einige in der ersten Reihe,
gewissermaßen auf den teuren Plätzen, nippten aus ihren
Champagnergläsern, die Damen fächelten sich mit ihren
Fächern Luft zu. Tron wusste genau, was die meisten Gäste
dachten. Endlich mal ein Maskenball, auf dem etwas los war -
endlich mal eine spannende Aufführung. Das war zynisch, und
niemand würde es später zugeben, aber Tron kannte seine
Venezianer.
    Er machte, den
herabhängenden Revolver zwischen den Fingern, zwei langsame
Schritte auf den Mann zu. Dabei registrierte er, dass Bossi nicht
zu seinem Platz im Publikum zurückgekehrt war, sondern sich
neben den fluchtartig verlassenen Stühlen der Musiker postiert
hatte. Dafür gab es keinen Grund, aber den Mann schien es, da
er den Ispettore immer noch im Blick hatte, nicht zu
irritieren.
    Bossi stand jetzt
einen halben Schritt hinter der Pauke und dem großen Becken
aus Messing. Er sah den Ispettore mit emporgezogenen Augenbrauen
an, senkte dann den Blick langsam auf die Pauke und das Becken
— und räusperte sich. Plötzlich begriff Tron, was
Bossi im Sinn hatte. Die Pauke und das Becken. Es war albern, aber
es konnte funktionieren. Und es war seine eigene Entscheidung, es
zu tun oder es lieber zu lassen — eine Entscheidung, die er
innerhalb der nächsten sechzig Sekunden treffen musste. Tron
überlegte. Wann würde Bossi das Signal geben? Der
Ispettore wusste, dass er, Tron, ein miserabler Schütze war.
Nur aus kurzer Entfernung hatte er — wenn denn überhaupt
- eine Chance, den Kopf des Mannes zu treffen. Also würde das
Signal kommen, wenn er die Waffe wieder zugeklappt hatte. Dann
musste er den Revolver hochreißen und — ohne dass er
Zeit gehabt hätte zu zielen — abdrücken. Und beten,
dass die Kugel nicht die Brust oder den Kopf des Obersts traf,
sondern des Gesicht das Mannes — seine Maske, seinen Mund
oder seine Stirn.
    Tron machte einen
weiteren Schritt nach vorn. Unmittelbar vor dem Tisch an der Seite
des Mannes, dessen Augen unter der Maske vermutlich nach links
wanderten, blieb er stehen. Er senkte den Oberkörper langsam
nach unten, indem er das rechte Knie leicht beugte. Der schwere
Kolben der Waffe berührte das Holz des Tisches mit einem
dumpfen Geräusch. Tron fand, es klang, als würde der
Deckel eines Sarges zugeschlagen. Er klappte den Revolver auf,
wobei er zu seinem Erstaunen keine Schwierigkeiten mit dem
Mechanismus hatte. Er drehte den geöffneten Revolver ein
wenig, sodass der Mann die Trommel mit den sechs Patronen sehen
konnte. Der gab ein kurzes, befriedigtes Grunzen von sich und
nickte — das Zeichen, dass Tron den Revolver wieder
schließen durfte. Wie still es auf einmal in der sala war. Tron hörte
kein Knistern der seidenen Roben, kein nervöses
Füßescharren, kein Räuspern,

Weitere Kostenlose Bücher