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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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deinem Leben anfangen?“, fragte ich. „Was ist dir wichtig, wovon träumst du? Und lass mal die Männer beiseite. Es geht hier nur um dich.“
    Sie betrachtete ihre Fingernägel, die Küchentür, faltete die Hände, legte sie neben den Krug. Ich ließ ihr Zeit. Nach einer ganzen Weile zuckte sie mit den Schultern. Es war eine hilflose Geste, wie die eines Kindes. Dann sah sie mich an. „Weißt du denn, was du willst?“
    Kupferrotes Haar, blaue Augen. Ich wusste, was ich wollte, aber das konnte ich Lizzie nicht sagen. Noch nicht.
    „Beständigkeit“, antwortete ich. „Ich möchte eine Konstante in meinem Leben haben, etwas, auf das ich bauen kann, das mir Sicherheit gibt. Und ich möchte nicht allein sein.“
    „Du bist nicht allein.“ Lizzie rutschte von ihrem Hocker und legte mir die Hände auf die Schultern. „Es tut mir leid, dass ich dich vernachlässigt habe, in den letzten Jahren.“
    Ich wollte schon abwinken, aber dann nickte ich. „Es hat mir wehgetan, dass du dich so zurückgezogen hast. Du hast mir gefehlt.“
    „Es war …“ Sie suchte nach Worten. „Ich kannte mich selbst nicht mehr. Ich bin froh, dass du mich nicht aufgegeben hast, auch wenn ich so eine doofe Kuh war.“
    „Hey“, rief ich spontan. „Schwesternschwur, weiß du noch?“ Wir verhakten unsere Ringfinger und lachten. „Du weißt, dass ich da bin, wenn du reden willst.“
    Lizzie umarmte mich.
    „Was hast du da?“, fragte sie und mir fiel das Pergament ein, das aus meiner Tasche lugte. Ich zog es heraus und rollte es auseinander. „Das weiß ich noch nicht“, sagte ich und strich das Papier auf dem Tresen glatt. Dann zog ich eine Kerze heran.
    „Heilige Scheiße, Cat, wo hast du das denn her?“
    In der oberen Ecke war eine Zeichnung zu sehen. Ein überdimensionaler Vogel an einen Scheiterhaufen gekettet. An seinen Füßen leckten die Flammen. Sein Schnabel war wie zu einem Schrei geöffnet. Ich starrte auf die Schriftzeichen darunter. Langsam versuchte ich die schnörkelige Schrift zu entziffern.
    „Hexe brenne, lösch die Nacht aus deinem Geiste. Nimmermehr sollst du des Menschen Leib versuchen“, las ich leise.
    Lizzie beugte sich über das Papier. „Und was bedeutet das?“
    „Das ist eine Hexenverbrennung. Inquisition.“
    Meine Nackenhaare sträubten sich. Mein Mund war trocken. Ich trank einen Schluck von Lizzies Bier.
    „Aber das ist ein Vogel.“
    „Hm“, machte ich. „Das ist ein Rabe.“
    Unwillkürlich sah ich zum Fenster, aber draußen war es stockfinster. Der Mond war untergegangen oder wurde von Wolken verdeckt.
    „Sind dir auch die Raben aufgefallen?“, fragte ich. „Seit wir hier sind, habe ich das Gefühl, dass sie mich beobachten.“
    Die Küchentür knarzte und ich rollte das Schriftstück zusammen, steckte es zurück in meine Tasche.
    „So, meine Hübschen, es wird Zeit, ins Bett zu gehen.“ Chloé gähnte herzhaft.
    „Gehst du schon vor?“, sagte ich zu Lizzie. „Ich komme gleich nach.“
    Sie sah von Chloé zu mir und nickte. Dann ging sie die Treppe hinauf.
    „Chloé, ich wollte vorhin nicht so gemein zu dir sein“, sagte ich. „Aber diese Sache gestern Abend hat mich verwirrt … Und Agnès …“ Ich biss mir auf die Zunge.
    „Agnès?“, hakte sie nach. „Was ist mit ihr?“
    Ich rieb über meinen Oberarm. Das hätte ich nicht sagen sollen. „Ich weiß nicht“, log ich. „Sie scheint etwas sonderbar zu sein.“
    Chloé bohrte mir ihre Blicke in die Stirn. Ich fing an zu schwitzen. Warum nur musste ich in ihrer Gegenwart alles erzählen?
    „Na ja, ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, dass ich dich so angefahren habe. Es tut mir leid.“
    Sie nickte langsam und in ihren Augen machte sich ein Ausdruck breit, den ich nicht deuten konnte. Misstrauen? Oder hatte sie meine Lüge durchschaut?
    „Schon gut“, sagte sie. „Für alles gibt es einen Grund. Und du wirst deinen gehabt haben.“
    Dann nahm sie meine Hand, strich über meinen Handrücken.
    „Lizzie wartet“, sagte ich.
    „Ja“, sagte sie nur und ließ mich los. „Lösch bitte die Kerzen.“
    Ich sah ihr nach, bis sie in dem Zimmer verschwunden war, in das sie uns am ersten Tag geführt hatte. Das war sicher ihr Schlafzimmer. Ich nahm einen Lüster vom Tresen, löschte die anderen Kerzen und ging nach oben.
    Lizzie lag schon im Bett, den Kopf auf die Hand gestützt. Sie sah mir beim Ausziehen zu.
    „Chloé sieht ziemlich gut aus“, sagte sie.
    „Was? Wieso? Ist mir nicht aufgefallen“, murmelte ich

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